Leseprobe "Acello und die Mistelband"
von Mirjam Wyser
Alter: 10 - 14 Jahre, Taschenbuch, 103 Seiten, ISBN: 978-3-96050-097-1
Inhaltsverzeichnis
Acello und die Mistelbande
Die Höhle
Der geheime Kommandoraum
Der Geist Virgil
Der schwarze Briefumschlag
Besuch beim Eremiten Philippe
Die UFO-artigen Flitzer
Dem Geheimnis auf der Spur
Die Erdstrahlen fangen an, wie Flöhe zu hüpfen
Die eigenartige Begegnung
Der Kampf beginnt
Der Mond tropft vor Schmerz
Der Eremit holt die Posaune
Kevin schüttelt die Mähne
Sieben Jahre danach
1. Acello und die Mistelbande
Professor Cello ist ein gefragter Mann im Planen und Programmieren von Fabrikabläufen. Seine Büroräume in der Stadt liegen eingequetscht zwischen einer alten, hässlichen Fabrik und dem Flussbett eines wilden Flusses.
Niemand in der wirklichen Welt kennt das Geheimnis des Professors Cello. Nachts im Traumland verwandelt er sich in Acello. Wenn er seine Nachtbrille und seinen Tarnanzug anzieht, werden er und sein Pferd Kevin für das menschliche Auge unsichtbar. Kevin verwandelt sich bei Nacht zu einem geflügelten Pferd. Der weiße Fleck auf seiner Stirn wird zu einem leuchtenden Stern und weist den Weg durch die Dunkelheit der Nacht.
Leicht wie ein Schmetterling kann das geflügelte Pferd abheben. Gemeinsam kämpfen Pferd und Reiter für das Gute in der Welt.
Vor langer Zeit hat die Königin des Lichts die beiden zu ihren Helfern auserwählt. Sie ist wie der schönste, strahlendste Diamant in der Nacht und strahlt in einsamer Pracht. Sie ist die Botin der Unendlichkeit von einem unbekannten Ort jenseits aller Grenzen von Zeit und Raum. Die Kraft ihres Lichtes kann alles vollbringen, doch dazu braucht sie die Menschen auf der Erde.
Von hoch oben aus den Wolken erblickte sie damals den Professor. Eine schwere Last drückte sie. Der Himmel verfinsterte sich und die goldenen Lichtstrahlen konnten den Weg zur Erde fast nicht mehr finden. Mithilfe des Professors konnten die Probleme zu jener Zeit gelöst werden. Doch nun tauchen wieder unheimliche Veränderungen in der ganzen Welt auf, sodass die Lichtkönigin gezwungen ist, den Professor abermals um Hilfe anzurufen.
Immer wieder sucht sie nach Menschen, die bereit sind, für das Gute in der Welt zu kämpfen. Nicht weil damit viel Geld zu verdienen wäre. Sondern weil diese Menschen die Liebe zu allem auf der Welt besitzen. Zu den Bäumen, den Pflanzen, den Blumen, den Tieren, den Menschen und besonders zu den Kindern. Denn Liebe ist ein wichtiger Wert im Leben. Die unendliche Liebe der Lichtkönigin durchströmt alles, vom unbedeutenden Grashalm bis hin zum hellsten Stern.
Einige rätselhafte Zwischenfälle ereignen sich in letzter Zeit in der Natur. »Atmosphärische Störung« wird das Problem genannt. Luftwirbel bei klarem Himmel bringen Flugzeuge in höchste Gefahr. Die abgesendeten Funksprüche können im Tower nicht gehört werden. Auch Meeresschiffe verlieren die Verbindung und kommen in Notsituationen. Es wird nach Gründen für diese mysteriösen Zwischenfälle gesucht. Aber auch das Wetter spielt immer öfter verrückt. Von Erdbeben, Erdrutschen, von aufbäumenden Winden und Stürmen und schlimmen Hurrikans wird in den Nachrichten berichtet.
Soeben besteigt Professor Cello sein Auto und fährt von seinem Stadtbüro ins Schloss am Moor hinaus. Dort wartet in der Pferdebox sein Pferd Kevin auf ihn.
Stallmeister Uwe hat gerade den Gurt vom Sattel unter dem Bauch des Pferdes fest angezogen. Das Pferd ist startbereit für den Ausritt.
Der Professor begrüßt Stallmeister Uwe. Nach ein paar Worten geht er zu seinem Pferd und krault es in seiner Mähne. Das Pferd scheint sich sehr zu freuen und wiehert.
»Ihr beiden seit wirklich eine Einheit!«, lacht Uwe. Der Professor schmunzelt freudestrahlend. Gerade will er in den Sattel steigen, da schrillt sein Handy. Er nimmt den Anruf entgegen und wendet sich ab. Bei dem Gespräch verfinstert sich sein Gesichtsausdruck. Seine Nerven scheinen zu vibrieren. Nachdenklich läuft er hin und her. Ein paar Wortfetzen schnappt Uwe auf.
»Da versucht jemand das Sicherheitssystem zu unterlaufen. Die seltsamen Signale habe auch ich aufgefangen!«
Uwe kennt den Professor so gut, dass er nichts Gutes ahnt.
Ein paar Minuten später legt der Professor auf und verschwindet im Schloss. Gerne hätte Uwe etwas mehr über den mysteriösen Anruf erfahren, der den Professor so nachdenklich macht. Doch dieser schweigt. Etwas Unheimliches liegt in der Luft, das spürt der Stallmeister.
Kurz darauf kommt Professor Cello schnellen Schrittes zurück. Wortlos besteigt er sein Pferd, hebt die Hand zum Abschied, gibt dem Pferd die Sporen und reitet im Galopp davon. Verdutzt sieht Uwe den beiden nach.
»Möchte nur wissen, was den Professor so nachdenklich und wortkarg macht!«, murmelt er vor sich hin und geht wieder zurück an seine Arbeit.
2. Die Höhle
Professor Cello reitet auf alten Indianerpfaden. Scharfkantig ragen die Felsen in den Himmel. Ein heftiges Gewitter braut sich zusammen. Das Tal verengt sich zu einer Schlucht. Er muss den einzigen, gefährlichen Weg durch unwegsames Geröll nehmen. Der Pfad erweist sich als so mühselig, wie er aussieht. Er schlängelt sich an scharfkantigen Felsen vorbei.
»Ich muss verrückt sein, bei diesem schlechten Wetter in die Schlucht hineinzureiten!«, murmelt er vor sich hin. Es ist, als ob eine innere Kraft ihn dazu drängt, diesen Weg weiterzugehen.
Manchmal will Kevin nicht mehr weitertraben aus Angst, in die Tiefe zu stürzen. Fürchterliche Blitze zucken wie Wolkenschlangen über den Himmel, begleitet von tiefem Grollen. Wenigsten gibt die Schlucht etwas Schutz vor dem Unwetter.
Plötzlich entdeckt er zwischen zerklüfteten Felsen einen rettenden Höhleneingang. Erleichtert nimmt er die Höhle als willkommenen Zufluchtsort. Zwar ist es dunkel und feucht hier, doch vor dem Unwetter bietet die Höhle den nötigen Schutz.
Eine Weile schaut er von der Höhle aus dem tobenden Gewitter zu. Dabei schweben seine Gedanken zu den Indianern, die einst in dieser Gegend gelebt haben.
Vor allem waren sie Jäger und Sammler. Mit der Mutter Erde waren sie eng verbunden. Im Deuten der Zeichen in der Tier- und Pflanzenwelt und im Wetter waren sie Experten. Sie kannten auch die verborgenen Geistwesen in der Natur, die Zwerge, die Elfen und die Feen. Die Indianer sprachen ehrfurchtsvoll mit ihnen. Hörten ihren Gesang. Sie wussten, dass in den Bergen und den Bäumen besonders mächtige Geister wohnten. Es gab Bäume, groß und mächtig. Weil ein besonderes Licht sie umspielte, waren es Zauberbäume. Mit diesen Bäumen sprachen alte, weise Indianer und holten bei ihnen Rat für das Volk. Alle Indianer verehrten die Natur und die Naturwesen. Es gab aber nicht nur helle, sondern auch dunkle Geister.
Die dunklen Geister wollten, dass die Indianer alles vergaßen. Die dunkle Wende kam wie ein Dieb in der Nacht. Viele Indianer ließen sich vom Alkohol verführen, den die weißen Menschen als Geschenk gebracht hatten.
Sie betranken sich immer öfter, grölten und torkelten betrunken durch die Natur. Die unsichtbaren Fäden, die sie mit den Naturwesen verbanden, wurden immer mehr durchtrennt. Die Geistwesen konnten nicht mehr wahrgenommen werden. Schlussendlich glaubten die Indianer wie die Weißen, dass es gar keine Zwerge, Feen, Elfen und Baumeister gab. Traurig zogen sich die Naturwesen zurück und verstummten.
Der Kampf zwischen den Guten und den Bösen wiederholt sich immer wieder. Auch heute sind sie noch da, diese geheimnisvollen Wesen in der Natur, nur glauben die Menschen nicht mehr an sie und können sie nicht mehr hören.
Aber bei Kindern ist es anders. Sie sind noch ganz mit der unsichtbaren Welt verbunden. Kinder wissen, dass es Zwerge, Feen und Elfen gibt. Viele können sogar die Engel mit dem Lichtmantel sehen, die über allem wachen. Die Regenbogenfarbenwelt, wo alles von Licht und Liebe umgeben ist. Das Problem ist nur, dass die Erwachsenen nicht richtig zuhören, wenn die Kinder davon erzählen. Wer Ohren hat zu hören, dem werden die Himmelswesen wunderbare Geschichten erzählen.
Der Professor ist ganz in seine Gedanken über die wunderbare Welt der Indianer versunken. Da kracht es fürchterlich am Himmel, sodass er und Kevin mächtig erschrecken.
Inzwischen hat sich der Himmel total verfinstert. Immer noch regnet es in Strömen. Professor Cello schaut auf die goldene Uhr, als könnte sie ihm einen Rat geben. Kevin ist ganz unruhig geworden und scharrt mit dem Vorderfuß. Etwas Unheimliches liegt in der Luft. Aber was?
Professor Cello rümpft die Nase. Ein fauliger Geruch schlägt ihm entgegen, vermutlich von einem toten Tier. Der Professor weiß, dass es in der ganzen Umgebung kein Hotel gibt, wo er die Nacht verbringen könnte. Also bleibt ihm nur diese Höhle. Zum Glück findet er in der Satteltasche eine Taschenlampe. Neugierig schaut er umher. Da sieht er, dass von der Höhle aus ein Gang abgeht. Er ist gerade so hoch, dass auch sein Pferd durchlaufen kann. Professor Cello packt Kevin am Halfter und schreitet vorsichtig los.
Fast könnte man glauben, die beiden seien hier ortskundig. So ist es aber nicht. Sie lassen sich auf ein gefährliches Abenteuer ein, nur ist es ihnen in diesem Augenblick nicht bewusst. Mit den Kindern würde man schimpfen, wenn sie einfach so leichtsinnig in eine unbekannte Höhle schreiten würden. Doch der Professor ist so fasziniert von diesem verwinkelten Höhlensystem, dass er alle Vorsicht vergisst.
Plötzlich teilt sich der Gang. Beim Stollen, der nach rechts führt, fällt durch einen schmalen Spalt etwas Licht hinein. »Eine Spalte für die Fledermäuse!«, murmelt der Professor.
Die Fledermäuse sind keine Gruseltiere. Sie ernähren sich von nachtaktiven Mücken, Käfern, Larven und Faltern.
Mit seiner Taschenlampe leuchtet er neugierig die Höhlendecke ab. Er hat sich nicht geirrt. Tatsächlich hängen schlafende Fledermäuse von der Decke herab. Vorsichtig geht er mit Kevin weiter. Nun ist er wieder auf das Licht seiner Taschenlampe angewiesen. Der Gang wird enger und senkt sich abwärts. Der Professor hat plötzlich Bedenken, dass der Stollen für sein Pferd zu schmal werden könnte. Er denkt bereits ans Umkehren, was allerdings gar nicht so einfach ist, weil er Kevin wenden muss. Es ist sogar unmöglich.
Plötzlich wird ihm seine Leichtsinnigkeit bewusst. Schweißperlen tropfen von seiner Stirn. Er spürt, dass sich irgendetwas Unheimliches zusammenbraut. Kevin schüttelt den Kopf, als könnte er die Bedenken des Professors erraten.
Unerwartet teilt sich die Höhle nochmals in zwei weitere Stollen. Diesmal nehmen sie den Weg nach links, weil der Stollen höher ist. Zum Staunen des Professors steht er mit Kevin nach ein paar Schritten in einem großen Höhlenraum. Zwei in Stein gehauene Figuren mit finsterer Miene sitzen davor. Offenbar als stumme Wächter, um Eindringlinge fernzuhalten und ihnen Angst einzujagen. Als interessierter Gelehrter ist der Professor aber begeistert von den kunstvollen, in Stein gemeißelten Figuren. Er setzt sich die Brille auf und betrachtet bewundernd die Details.
Da ertönt ein unheimliches Rumpeln. Staub wirbelt auf. Nichts ist mehr zu sehen. Vor Schreck ist dem Professor die Taschenlampe auf den Boden gefallen und ausgegangen. Nur noch ein ersticktes Husten ist zu hören.
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Die Bände der Reihe rund um Professor Cello, die Lichtkönigin und seine Freunde können unabhängig voneinander gelesen werden.