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    Leseprobe "Seelenverwandt ... und warum sie IHN haben muss"

von Andi LaPatt

Taschenbuch, 530 Seiten, 25 Kapitel, ISBN: 978-3-96050-015-5

Kapitel 1                                            

Der melodiöse Blues erfüllte leise und sanft den großen Raum, in dem sich die Gäste tummelten. Geklimper des imposanten Flügels erhellte die Stimmung und überzog die Atmosphäre in dem Raum mit einem samtenen Film. Ein Mittfünfziger verdrehte seinen Körper rhythmisch mit dem Saxofon in der Hand und versank in den massig sanften Tönen des großen Instruments. Imposante Säulen teilten eine riesige Halle und gaben der Party ein glamouröses Ambiente. Abendkleider glitzerten um die Wette mit den Kronleuchtern, während das Stimmengewirr geradezu einschläfernd wirkte. Der einladende Tisch in der Mitte hatte Stunden zuvor ein reichhaltiges Buffet getragen, das längst leergefuttert worden war. Als Zeitzeugen stapelten sich schmutzige Teller darauf. Kerzen tropften, zur Hälfte heruntergebrannt, ihren Wachs auf die Tischdecke, und die ersten Blumen in den Bodenvasen ließen ihre Köpfe hängen. Ihren Zweck erfüllt, um an diesem Abend zu strahlen, waren sie in sich zusammengesunken, als wollten sie einen erholsamen Schlaf einfordern.

Susan stand etwas verloren zwischen herausgeputzten Menschen herum, eingehüllt in ein Designerkleid und den Nebel zuviel getrunkenen Champagners. Irgendeine Blondine redete unaufhörlich auf sie ein, während sie weiter freundlich lächelte und in regelmäßigen Abständen ebenso freundlich nickte, wobei sie keinen blassen Schimmer hatte, was die Frau ihr eigentlich erzählte. Es interessierte sie auch nicht, was die Frau da verzapfte. Sie sah sich um und langweilte sich. Mit einem Finger spielte sie an einer Haarlocke ihrer braunen Haare herum. Sie musste mit den hohen Pumps das Gleichgewicht ausbalancieren, als sie sich umdrehte. Der Champagner machte sich bemerkbar. Nüchtern hätte sie diesen Abend ohnehin nicht ertragen.

Schließlich erblickte sie Paul, wie er mit einer jungen Frau angeregt diskutierte. Schon wie er dastand, ging ihr auf die Nerven. Sein Lachen reichte bis zu den angegrauten Schläfen, während er mit beiden Händen sprach. Einen Instinkt hatte sie dafür, sie hatte es gewusst. Es widerte sie an, wie er dieses junge Ding anlachte, wie er mit seinen Gesten um sie buhlte. In diesen Situationen hatte er eine ganz eigene Art, seine Hände zum Gestikulieren zu benutzen, den Kopf nach hinten zu beugen und sein Lächeln in die Runde zu werfen, die alle weiblichen Gäste dahinschmelzen ließ. Lange war es her, dass er sie so angelächelt hatte.

Sie schnaubte verächtlich und stellte das Champagnerglas dem Kellner aufs Tablett, der gerade an ihr vorüberging.

„Möchten Sie noch ein Glas?“, fragte dieser sie charmant und war stehengeblieben. Ein junger Herr mit Föhnfrisur mit den Überbleibseln der pickelbehafteteten Teenagerzeit, die sich wahrscheinlich zu lange für ihn in die zwanziger Jahre ausgedehnt hatten. Bei seinem zum Scheitern verurteilten Versuch, Susan anzulächeln, schüttelte sie nur ohne abzuwarten den Kopf.

Der junge Kellner, mehr einem Pinguin gleichend in seinem aufgebügelten Frack, suchte freundlich Augenkontakt, den Susan nicht erwiderte. Dann wandte sie sich an die Blondine: „Wenn Sie mich bitte entschuldigen.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sie sich um und schritt auf Paul zu, höchst angestrengt, möglichst gerade zu gehen, weil niemand merken sollte, wie viel sie schon intus hatte.

Ohne Umschweife und ohne jeglichen Respekt für das Gespräch stellte sie sich zwischen Paul und die fremde Frau.

„Ich möchte bitte gerne gehen“, sagte sie in scharfem Ton.

Es war ihr egal, dass sie die junge Frau in einer anregenden Erzählung unterbrochen hatte. Paul sah sie wütend an.

„Wir unterhalten uns gerade.“

„Das sehe ich“, kommentierte Susan schnippisch.

Die junge Frau blickte verwundert zu ihr auf. Ihr makelloses, junges Gesicht schrie Susan ihr eigenes Altwerden entgegen. Volle, nachgezogene Lippen, die nur darauf warteten, geküsst zu werden, und professionell geschminkte Augen, dazu verlängerte Wimpern, die der ohnehin schon attraktiven Frau noch mehr Anziehungskraft zu verleihen schienen.

„Wir können uns auch später weiter unterhalten“, versuchte die Frau nun, die Situation zu entschärfen. Mit einer Brille hatte sie versucht, das attraktive Gesicht auf intelligent zu trimmen, offenbar funktionierte der Trick bei Männern.

„Später?“, fragte Susan in einer eigenartigen Tonlage, die Paul genervt durchatmen ließ. „Sie entschuldigen uns bitte. Es tut mir sehr leid. Meine Frau fühlt sich nicht wohl. Ich werde sie besser nach Hause bringen.“

Susan stand in fordernder Manier neben ihrem Mann und tippelte mit dem Fuß auf den Boden, während sie ihre kleine Tasche wie zum Schutz vor den Unterleib hielt. Der Champagnerkonsum hatte die Farbe aus ihrem Gesicht weichen lassen, oder war es die Anstrengung, den Abend irgendwie durchzustehen?

„Natürlich“, erwiderte die junge Frau verständnisvoll und wünschte ihnen einen schönen Abend.

Ohne sich um seine Gattin zu kümmern, marschierte Paul zum Ausgang, wo er der Garderobiere seine Plakette mit der Nummer 56 aushändigte. Sie kam wenig später mit einem Jackett und einem hellbraunen Kaschmirmantel zurück und reichte die Sachen Paul. Er bedankte sich bei ihr, zog sich seine Jacke über und hielt Susan wortlos den Mantel hin, ohne sie dabei eines Blickes zu würdigen.

„Hat man Ihren Wagen schon vorgefahren?“, fragte die Garderobiere ihn überfreundlich. Im Hintergrund waren noch immer Flügel und Saxofon zu hören, die mit ihren Klängen immer leiser werdend nach draußen schlichen.

Die Garderobiere selbst war wie aus dem Katalog einer Cateringfirma, die perfekt gekleidet hinter einem Tresen ein Lächeln aufgesetzt hatte, wie in einem Hollywood-Streifen.

„Nein, wir haben uns soeben erst entschlossen nach Hause zu gehen. Meine Frau fühlt sich nicht wohl. Wenn Sie so freundlich wären“, bat Paul und reichte seinem weiblichen Gegenüber Trinkgeld, um die Angelegenheit zu beschleunigen, was mit einem anerkennenden Blick und einem leisen „Dankeschön“ quittiert wurde.

Sofort tippte die Garderobiere mit perfekt manikürten Fingernägeln etwas in ihren Laptop ein, das Klicken auf den Tasten war deutlich zu hören. „Natürlich, Herr Kaimer, Ihr Wagen wird soeben aus der Garage gefahren.“

Paul nickte ihr kurz zu, dann wandte er sich ab.

Susan hatte sich den Mantel über den Arm gelegt. Alkoholgeschwängert nahm sie nicht alles deutlich wahr. Er sprach kein Wort mit ihr. Sie blickte zu Boden, sagte nichts. Ein paar Minuten standen sie verloren herum, während ein sanftes „Ping“ die Garderobiere darauf aufmerksam machte, dass sie eine Nachricht erhalten hatte, die in Zusammenhang stand mit dem großzügigen Trinkgeld, das sie soeben erhalten hatte.

„Ihr Wagen steht jetzt draußen bereit, Herr Kaimer. Einen schönen Abend wünsche ich Ihnen beiden. Es war schön, Sie hiergehabt zu haben.“ Mit strahlend weißen Zähnen lächelte sie ihnen den Abendgruß entgegen, während ein weiterer Pinguin die Türe zum Hauptausgang öffnete.

„Vielen Dank, und richten Sie Herrn und Frau Huber unseren Dank aus und dass wir frühzeitig aufbrechen mussten.“

Ein beinahe eisiger Wind begrüßte sie hinter der Türe, die sie öffneten. Drinnen war es behaglich warm gewesen und hatte niemanden an die Jahreszeit erinnert, die auf den Straßen der Stadt auf sie lauerte. Der Bentley stand vor der Tür, ein junger Mann in Anzug und Krawatte war gerade ausgestiegen und hielt Paul die Türe auf.

„Ich habe mir erlaubt, für Ihre Frau die Sitzheizung bereits zu aktivieren. Um diese Jahreszeit ist es schon sehr kalt“, erklärte er Paul und zog die dunkle Jacke enger an sich.

„Das ist sehr aufmerksam, vielen Dank“, antwortete Paul teilnahmslos und drückte dem Mann 50 Schweizer Franken in die Hand.

„Nichts zu danken, oh. Ich habe zu danken.“ Er wuselte zur anderen Seite herum und hielt Susan galant die Autotüre auf. „Einen wunderschönen, guten Abend wünsche ich Ihnen noch“, trumpfte er etwas zu freundlich auf. Anerkennend betrachtete er die Frau und suchte den Augenkontakt. In Alkohol getränkt erkannte Susan den Flirtversuch nicht und war damit beschäftigt, ansatzweise etikettengerecht einzusteigen, um sich nicht vollständig zu blamieren.

Hinter ihr schloss er die Autotüre, Paul schnallte sich an und fuhr ruppig los mit der Edelkarosse. Im Rückspiegel folgten ihm die verständnislos dreinblickenden Augen des jungen Mannes, der den Wagen aus der Garage gefahren hatte. Die Blicke, mit denen er den Luxuswagen bedacht hatte, waren Paul sehr wohl aufgefallen. Nun gut, ein Bentley fuhr tatsächlich nicht jedermann, aber Paul war auch nicht jedermann.

Paul bedeutete der Bentley wenig. Er hatte ihn damals einfach haben müssen. Ein weiteres Objekt in seiner Trophäensammlung. Was bedeuteten schon ein paar hunderttausend Franken mehr oder weniger.

„Musste das sein?“ fragte er ungehalten, während sonst nur der Klang des Bentleys die Fahrt begleitete.

„Ich weiß nicht, was du meinst“, erklärte Susan in ruhigem Ton und starrte aus dem Fenster in die Nacht hinaus, ihre Tasche auf dem Schoß stehend, als müsste sie jederzeit flüchten können.

„Das gerade, vorhin.“

„Mir ist nicht gut, ich möchte nach Hause, das ist alles.“

„Aha, das ist alles“, sagte Paul sarkastisch.

„Was?“, fauchte Susan.

Im Wageninnern war es schnell warm geworden. Die Sitzheizung hatte ebenfalls dafür gesorgt, dass die Jahreszeit mit ihren tiefen Temperaturen draußen geblieben war.

„Es ist immer dasselbe“, raunzte er zurück. Die Augenbrauen zusammengezogen konzentrierte er sich auf die nächtliche Straße.

„Was ist jetzt schon wieder nicht in Ordnung? Ich habe keinen Ton gesagt“, fuhr sie ihn an. Dann schrie er zurück: „Nein, du sagst nichts, aber was du nicht sagst, schreit mich lauter an als die Band vorhin da drinnen.“

„So, tut sie das, ja?“

Er schaute nicht mehr auf die Straße, sondern blickte sie voller Abscheu von der Seite an.

„Sieh auf die Straße“, mahnte sie ihn.

„Sag mir nicht, was ich zu tun habe“, antwortete er.

„Sieh auf die Straße“, wiederholte sie laut und fingerte an ihren Haaren herum. Trotz des Alkoholnebels war ihr mulmig zumute, und sie blickte besorgt auf die Fahrbahn.

„Fährst du, oder fahre ich?“, meinte er wütend. Er hielt den schweren Wagen nicht gerade auf der Hauptstraße. Der Alkohol hatte auch in Pauls Blut nebulöse Spuren hinterlassen.

„Soll ich fahren?“, fuhr sie ihn an.

„Wie denn, du bist wieder mal betrunken. Aber das ist nichts Neues. Das ist dein liebstes Hobby.“

„Ach, und warum wohl? Dich kann man nüchtern nicht mehr ertragen.“

„Und darum musst du uns ausgerechnet vor unseren Freunden bloßstellen?“

„Ich stelle uns bloß? Ich? Wie wäre es denn damit: Du musst dich immer mit diesen jungen Dingern herumtreiben. Was ist wohl peinlicher? Ein in die Jahre gekommener Gigolo, der in seinem Wahn, nicht älter werden zu wollen, immer jüngere Hühner aufreißen muss.“

„Ach, darum geht es? Sind wir wieder bei der Eifersuchtsnummer?“

„Eifersucht, worauf soll ich denn noch eifersüchtig werden?“ Susan lachte gekünstelt auf.

„Auf diese jungen Hühner, wie du sie nennst.“

„Denen bist du doch viel zu alt. Merkst du nicht, wie peinlich das ist?“

„Peinlich also, ja? Du glaubst, die wollen mich nicht? Dann hör mal gut zu. Ich habe wenigstens noch ein aktives Sexleben, im Gegensatz zu dir.“

Das saß.

Susan schluckte ihren Schmerz herunter. Das war genau das Thema, das sie gehofft hatte, nicht mehr anschneiden zu müssen. Worte, die ihr ins Gesicht peitschten, mehr noch, als wenn er sie wirklich geschlagen hätte. Sie antwortete nicht, während Paul triumphierend auf die Straße blickte. Schon nach wenigen Metern bereute er seine Aussage, und als sie weiter schwieg, legte er seine Hand besänftigend auf ihren Oberschenkel: „Es tut mir leid.“ Sie schob seine Hand weg und blieb ihm die Antwort schuldig. Traurig schaute sie aus dem Fenster. Der Schmerz konnte sie dieses Mal nicht erdrücken. Sie hatte mit ausreichend Champagner dafür gesorgt, dass er sie wenigstens nicht mit voller Wucht traf.

Die Fahrt durch St. Gallen wurde nur begleitet von den Lichtern der Stadt und dem Sound des Bentleys. Sie sprachen kein weiteres Wort mehr. Als Paul um die altbekannte Kurve bog, holte er den Handsender aus der Mittelkonsole, und es öffnete sich das Garagentor, das sich langsam zur Seite schob, während in der Tiefgarage die Lichter ansprangen und diese Meter um Meter erhellten. Das Dröhnen des Bentleys hallte wider, als er in die Tiefgarage einfuhr. Paul stellte den Wagen auf seinen Platz, direkt neben dem weißen Porsche 911 Cabrio, den er seiner Frau gekauft hatte. Susan hatte Mühe, aus dem Wagen auszusteigen, denn der Champagner und die hohen Schuhe machten ihr zu schaffen. Als Paul ihr zur Hilfe eilen wollte, stieß sie ihn von sich, riss den Mantel aus dem Sitz des Bentleys und stolperte an ihm vorbei. „Susan, es tut mir leid“, rief er ihr hinterher, während sie in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel kramte. Er holte sie ein und steckte den Schlüssel aus seinem Schlüsselbund in den Zylinder für den Liftzugang. Nach einem kurzen Rauschen und einem hellen Geräusch öffnete sich der Lift. Paul drückte den Knopf zur obersten Etage und bestätigte mit dem Schlüssel den direkten Zugang zu ihrer Wohnung.

Als sie das Penthouse betraten, warf Susan den Mantel in eine Ecke, streifte sich die Stöckelschuhe von den Füßen, die sie auf dem Weg liegen ließ und verschwand wortlos im Bad. Hinter Susan herräumend nahm ihr Mann die Schuhe sorgsam in seine Hände und las den Mantel auf. Sein Weg führte ins Ankleidezimmer, wo er die Sachen verstaute und sich schließlich in den Chesterfield-Sessel sacken ließ. Die Hände ins Gesicht vergrabend atmete er einen Moment schwer und schlüpfte schließlich aus seinem Jackett. Dann zog er sich die Schuhe langsam aus und blieb im Dunkeln sitzen. Er brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. Möglicherweise hätte auch er nicht mehr fahren sollen. An diesem Abend waren die Gespräche weitaus weniger interessant gewesen als der Rotwein. Paul dachte über die junge Frau nach, eine attraktive Schönheit, die ihm unter anderen Umständen den Kopf hätte verdrehen können. Er hörte die Toilettenspülung, dann wurden zwei Türen geknallt, und damit wusste er, dass er im Gästezimmer schlafen würde in dieser Nacht.

+++ +++ +++

Textprobe: Andi LaPatt

© 2017 Franzius Verlag GmbH

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