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    Leseprobe "Nela und der weiße Falke"

von Yngra Wieland

Band 1 der "Nela"-Reihe, Taschenbuch, 200 Seiten, ISBN: 978-3-945509-88-3

Inhaltsverzeichnis
1. Kapitel: Der weiße Falke
2. Kapitel: Der Hilferuf
3. Kapitel: Noch mehr Probleme
4. Kapitel: Eine böse Überraschung
5. Kapitel: Das Falkenmädchen
6. Kapitel: Die Lichtburg
7. Kapitel: Die Entdeckung
8. Kapitel: Geheimnisse
9. Kapitel: Die Ausbildung
10. Kapitel: Gut Falkenberg
11. Kapitel: Verraten
12. Kapitel: Der Überfall
13. Kapitel: Die Höhlenfestung im Schattenland
14. Kapitel: Die Rettung
15. Kapitel: Das Amulett
16. Kapitel: Wieder Zuhause

1. Kapitel: Der weiße Falke

„Ich habe überhaupt keine Lust, nach Hause zu gehen!“ Nela schwenkte unternehmungslustig ihre Schultasche. „Kommst du noch mit in den Englischen Garten?“ Jannis überlegte kurz und nickte. „Zuhause wartet niemand auf mich und für morgen muss ich nichts lernen. Die Hausaufgaben habe ich in der Freistunde erledigt und Training fällt heute aus, also spricht nichts dagegen!“

Nela sah ihn kopfschüttelnd an. Wie konnte man nur so pflichtbewusst sein! Obwohl, ein Scheibchen davon könnte sie sich abschneiden. Jannis grinste. „Hast du Lust auf ein Eis? Ich lade dich ein, ich habe noch einen Gutschein von meinem Geburtstag.“

„Mega!“ Nela strahlte. Jannis wusste, dass sie für Eis alles stehen und liegen ließ.

Sie reihten sich in das betriebsame Gewimmel auf der Leopoldstraße ein und steuerten die Eisdiele an. Jannis zog den leicht verknitterten Gutschein aus seiner Schultasche. Nela musste nicht lange überlegen. „Zwei Kugeln Vanille in der Waffel, bitte!“ Sie schüttelte ihre wild-wuscheligen Locken aus dem Gesicht und nahm ihr Lieblingseis entgegen. Jannis entschied sich für Schokolade.

Während sie genüsslich ihr Eis schleckten, schlenderten sie auf den Park zu. Der Julitag war heiß und die Sommerferien rückten in verheißungsvolle Nähe.

Nela versuchte, ihre Sorgen für einen Augenblick zu vergessen. In letzter Zeit war sie unruhig und verwirrt. Ihre Noten wurden immer schlechter, obwohl sie wirklich versuchte zu lernen und regelmäßig zur Mathe-Nachhilfe ging. Nachts quälten sie verrückte Träume. Jede Nacht rief jemand ihren Namen, morgens wachte sie mit einem merkwürdigen Gefühl auf und konnte sich in der Schule nicht konzentrieren. Inzwischen war sie so frustriert, dass sie überhaupt keine Lust mehr hatte, ihre Nase in ein Buch zu stecken. Es nutzte ohnehin nichts. Vielleicht war das Gymnasium zu schwierig für sie. Sie kickte nach einer leeren Dose und verzog verdrießlich das Gesicht. Jannis warf ihr einen fragenden Blick zu.

Unvermittelt blieb Nela stehen. „Wie machst du das bloß, dass du immer gute Noten hast? Nie vergisst du etwas und dabei lernst du kaum! Ich verstehe das nicht, es ist ungerecht!“

Jannis zuckte mit den Schultern und versuchte, sein schmelzendes Eis unter Kontrolle zu bekommen. „Keine Ahnung. Es fällt mir leicht und ich lerne gerne neue Dinge. Wenn ich Fußballer werden will, brauche ich auf jeden Fall auch noch einen Beruf, in dem ich später arbeite, wenn ich nicht mehr spielen kann. Wenn ich auf das Sportgymnasium gehen will, muss ich supergute Noten haben, sonst nehmen die mich nicht. Aber das geht sowieso nur, wenn es meine Eltern erlauben.“

Er suchte nach tröstenden Worten für Nela. „Vielleicht geht es dir nach den Ferien wieder besser, wenn du dich erholt hast. Wohin fahrt ihr denn eigentlich in den Urlaub?“

Sie überquerten die Straße und bogen in einen schmalen Weg ein, der zu ihrem Lieblingsplatz im Englischen Garten führte. Jannis griff hastig nach Nelas Arm und bewahrte sie gerade noch vor dem Zusammenstoß mit einem Radler, der schimpfend davonkurvte. Nela stopfte ungerührt den Rest ihrer Waffel in den Mund. „Keine Ahnung, meine Mutter weiß noch nicht, ob sie weg kann, in der Agentur ist gerade so viel zu tun. Vielleicht fahren wir sogar erst in den Herbstferien weg. Und du?“

„Ich fahre im August mit Freddy für eine Woche in ein Fußballcamp. Und danach vielleicht mit meinen Eltern irgendwohin, aber genau wissen die es auch noch nicht, weil...“ Er unterbrach sich, sie hatten ihr Ziel erreicht.

Vorsichtig balancierten sie unter den tief hängenden Zweigen der Trauerweiden den schmalen Pfad entlang bis zu den großen Steinbrocken. Die Fläche bot gerade genug Platz für zwei. Nela warf ihren Schulranzen auf den Boden und begann, auf die Steinblöcke zu klettern, wobei sie sich die nackten Knie schürfte. Jannis stellte seine Schultasche auf einen trockenen Platz und folgte ihr.

„Rutsch mal!“, forderte er sie auf und ließ sich mit einem behaglichen Seufzer neben Nela plumpsen. Es war ein herrlicher Tag. Die riesigen, alten Bäume rauschten leise im Wind, die Geräusche der Stadt schienen aus weiter Ferne zu kommen. Jannis schaute sich um. Der Wasserfall rieselte über moosige Steinblöcke in einen kleinen See. „Wir waren lange nicht mehr hier. Sag mal, lagen die Steine schon immer dort?“

Nela spähte in die Richtung, in die Jannis mit seinem schokoeisverzierten Finger deutete. Tatsächlich, da hinten, nicht weit weg vom Ufer, bildete eine Ansammlung von Steinen eine kleine Insel. Nela stutzte. „Keine Ahnung, nee, die sind mir vorher nie aufgefallen.“ Sie reckte den Hals. „Guck doch mal, da schaut etwas Weißes raus!“ Sie erstarrte. „Hey, da bewegt sich etwas! Das ist ein Vogel, ein Schwan vielleicht. Ich glaube, der ist verletzt! Ich gehe nachschauen.“

Wenn es um Tiere ging, kannte Nelas Mitgefühl und ihre Begeisterung keine Grenzen. Immer wieder ging ihr Taschengeld für Medizin, Futter und Verbände für kranke und vernachlässigte Tiere drauf, die ihr über den Weg hinkten oder krochen und die sie zum Entsetzen ihrer Mutter nach Hause schleppte und versuchte, sie gesund zu pflegen. Am liebsten würde sie auf dem Land leben, auf einem Hof mit Pferden, vielen Hunden und Katzen. Wegen ihres chronischen Geldmangels hatte sie sich vorgenommen, im Herbst einen Babysitter-Kurs zu machen. Sie könnte bei Nachbarn und Bekannten auf deren kleine Kinder aufpassen und damit die Ebbe in ihrem Geldbeutel bekämpfen. Vielleicht dürfte sie sich dann endlich einen Hund kaufen, oder wenigstens eine Katze oder eine Rennmaus oder einen Fisch. Nela kletterte flink von ihrem Aussichtsplatz herunter und trabte zu dem kleinen See.

„Wir kommen vom Ufer aus nicht hin, wir müssen ins Wasser.“ Sie streifte ihre Sneaker ab, zog die Socken aus und begann, ins Wasser zu waten. Die hohen Bäume ringsum warfen lange Schatten über das Wasser. Trotz der juliheißen Luft war das Wasser eiskalt. Nela war beinahe um den Steinhaufen herum, als sie ein schwaches Fiepen hörte. Sie stieß einen erstaunten Schrei aus. „Jannis, komm schnell, es ist ein Vogel, es schaut ein Flügel raus. Es sieht aus, als wäre der Steinhaufen über ihm eingestürzt. Wir müssen ihm helfen, beeil dich!“

Jannis, der ihr gefolgt war, begann schleunigst, die Steine beiseite zu räumen. Ein Vogel mit weiß-flaumigem Gefieder blinzelte sie aus runden Augen an. „Das ist ein junger Vogel!“, rief Jannis. „Aber es ist kein Schwan, sonst wäre er grau und viel größer. Der Schnabel sieht aus wie der von einem Raubvogel.“

Nela spähte neugierig über Jannis Schulter. „Nimm mal deine Hand weg, ich kann nichts sehen! Blutet er? Wie kommt er bloß hierher?“ Sie war voller Mitleid für das hilflose Tier. Der Vogel piepste schwach und bewegte sich kaum merklich. Jannis strich ihm vorsichtig mit dem Finger über das Gefieder. „Ich glaube, der linke Flügel ist verletzt und wahrscheinlich braucht er Futter und Wasser.“ Nela sah ihn bewundernd an. Wie immer wusste er gleich, was das Wichtigste war.

Jannis kratzte sich am Kopf. „Hast du nicht schon einmal einen verletzten Vogel gesund gepflegt? Was machen wir mit ihm?“

Nela zog die Stirn kraus. „Nein, der Vogel war gegen unsere Fensterscheibe geflogen. Ich musste gar nichts weiter machen, ich habe ihn nur eine Weile in der Hand gehalten, dann ging es ihm wieder gut und er ist davongeflattert.“ Ihr Gesicht hellte sich auf. „Ich hab´s! In der Königinstraße ist die Tierklinik der Universität. Da können wir hingehen, die wissen bestimmt, was man machen muss!“ Sie überlegte fieberhaft. „Wie sollen wir ihn transportieren, damit wir ihm nicht wehtun?“

„Kein Problem, wir legen ihn in meine Mütze, das wird gehen!“ Jannis hielt Nela sein Baseballcap hin. Vorsichtig setzte sie das Tier hinein. Er reichte ihr das provisorische Nest. „Hier, nimm du ihn, ich hole unsere Schulranzen.“

Sie platschten zurück ans Ufer und zogen, abwechselnd den verletzten Vogel haltend, Socken und Schuhe wieder an. Jannis spurtete zum Felsen und nahm die Schultaschen über die Schultern. Eilig gingen sie den kleinen Weg unter den Bäumen entlang und schlugen einen der Hauptwege in Richtung Parkausgang ein. Nela hatte ihre Jacke aus der Schultasche geholt und wickelte sie wie einen schützenden Kokon um die Mütze mit dem Vogel. Mit einem Ärmel deckte sie ihn zu.

Vor der Universitätsklinik blieben sie ratlos stehen. Es gab verschiedene Einfahrten und Tore, aber keine davon sah aus wie ein offizieller Eingang.

„Schau, dort in dem Glaskasten. Da sitzt ein Pförtner.“ Jannis zog Nela mit sich. Er baute sich vor dem Schalter auf und steckte vor Aufregung fast seinen Kopf durch die runde Öffnung. „Entschuldigung, wir haben einen verletzten Vogel gefunden, wer kann uns helfen?“

Es dauerte eine ganze Weile, bis der uniformierte Mann mürrisch von seiner Zeitung aufsah. „Das ist eine Universitätsklinik. Ihr könnt hier nicht einfach mit eurem räudigen Viehzeug auftauchen. Verschwindet!“

Nela sah, wie Jannis vor Ärger rot anlief und etwas knurrte, das sich anhörte wie „...selber räudig!“ Nela stieß ihn an. „Komm, wir versuchen es da drüben, hinter dem Parkplatz gibt es vielleicht einen anderen Eingang.“ 

Grußlos drehten sie sich um und liefen über den kopfsteingepflasterten Parkplatz. Sie standen vor einer großen Holztür. ‚Nur für Personal der Universitätsklinik‘ stand auf einem feindselig rot umrandeten Schild. Jannis rüttelte ärgerlich an der Tür. „Verdammt, hier kommen wir auch nicht rein!“

Nela schaute sich verzweifelt um. „Lass uns schnell nach Hause gehen und einen Tierarzt in der Nähe im Internet suchen.“

„Nein, warte, vielleicht klemmt die Tür!“ Jannis zerrte erneut vergeblich am Türknauf. „Ich...“, begann er, als die Tür schwungvoll von innen geöffnet wurde und er in hohem Bogen unsanft in den Flur flog.

„Hallo, was macht ihr denn hier?“ Ein junger Mann in verblichenen Jeans und einem laubfroschgrünen T-Shirt stand vor ihnen. „Sucht ihr jemanden?“ Der Mann hatte lange Haare, die wie bei einem Indianer im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren, einen Rucksack über der Schulter und einen Stapel Papier unter dem Arm. Sein Gesicht war braun gebrannt und er schaute sie mit freundlichen Augen fragend an.

Nela trat neben Jannis, der sich wieder aufgerappelt hatte. „Wir haben einen Vogel gefunden, er ist verletzt und braucht Hilfe!“ Flehend streckte sie ihm das Nest aus Jacke und Mütze entgegen. Der junge Mann hob vorsichtig den Jackenärmel hoch und spähte hinein. „Hey - was ist das denn? Es sieht aus wie ein junger Falke, aber ….“ Er schüttelte verwundert den Kopf. „Hm, eigentlich wollte ich gerade gehen, ... egal, kommt mit!“

Er ließ die schwere Tür hinter sich zufallen und ging den Flur entlang. Schließlich öffnete er eine der unzähligen Türen, die rechts und links entlang des langen Korridors lagen und ließ die beiden eintreten. Sie befanden sich in einem Raum mit einem großen Untersuchungstisch in der Mitte und vielen leeren Käfigen und Terrarien an den Wänden. Die heruntergelassenen Jalousien hielten den Raum angenehm kühl und tauchten ihn in dämmriges Licht. Der Mann zog eine schwenkbare Lampe heran und knipste sie an, riss ein Stück Papier von einer großen Rolle ab und legte es auf den Tisch. „Leg ihn hier hin.“

Vorsichtig hob Nela den Vogel aus der Mütze und setzte ihn in die Mitte des Untersuchungstisches. Der junge Mann streifte sich ein Paar Einmalhandschuhe über und beugte sich über das Tier, das schwach fiepte. Behutsam und geschickt tastete er den Körper des Vogels ab. „Der Flügel ist nicht in Ordnung und das Bein ist verletzt. Außerdem hatte er wohl lange keine Nahrung mehr. Ich denke, es ist das Beste, ihr lasst ihn erst mal hier und ich kümmere mich um ihn. Ich muss das Bein verbinden und den Flügel schienen. Hier, halte das bitte.“ Er reichte Nela eine Rolle mit dünnem Verband. Mit sicheren Bewegungen schiente er den Flügel und legte den Verband an. „Das genügt vorläufig. Jetzt kümmern wir uns um das Futter. Ich bin gleich zurück.“ Er verschwand durch eine Tür am anderen Ende des Zimmers.

Nela und Jannis sahen sich an. „Puh, Glück gehabt. Lange hätte der Vogel bestimmt nicht mehr überlebt.“  Nela seufzte erleichtert und strich sich eine Strähne aus der verschwitzten Stirn. „Was denkst du, sollen wir ihn wirklich hierlassen? Wir haben ihn schließlich gefunden, also gehört er uns.“ In Gedanken quartierte Nela den Vogel bereits in ihrem Zimmer ein.

Jannis zögerte. „Du hast Recht, aber der Typ scheint sich prima auszukennen und hier hat der Vogel die beste Pflege. Ich habe die nächste Zeit viel Training und Turniere und bei dir ist keiner daheim, der sich um ihn kümmert, wenn du in der Schule bist. Wir könnten ab und zu vorbeikommen und ihn besuchen.“

Nela schaute ihn zweifelnd an und drehte dabei gewohnheitsmäßig mit dem Finger an ihren Korkenzieherlocken. Sie hatte das Gefühl, sie habe die Verantwortung für den Vogel und es sei aus einem geheimnisvollen Grund wichtig, auf ihn aufzupassen.

„Neeeelaaaa! Neeeelaaaa!“ Da war sie wieder! Die wispernde Stimme aus ihren Träumen, die Stimme, die sie nachts rief und von der sie nicht wusste, zu wem sie gehörte! Noch nie hatte sie sie tagsüber gerufen und es hörte sich an wie ..., wie ein Hilferuf.

„Nela? Hey, Nela!“ Jemand rüttelte sie ungeduldig an der Schulter. Nela schaute sich verwirrt um. Jannis starrte sie an. „Hallo, jemand zu Hause? Was ist los mit dir?“

Für einen Augenblick hatte sie völlig vergessen, wo sie war. „Was..., ich... ich weiß nicht, jemand hat....“

Die Tür öffnete sich und der Mann kam zurück, in der Hand eine Pipette und eine flache Dose. „Mal sehen, ob der Patient etwas fressen will.“ Er zog schwungvoll einen Drehstuhl her, beugte sich über den Vogel und nahm in sanft zu sich. Mit der Pipette zog er etwas Wasser aus einem flachen Schälchen auf und ließ es dem Vogel in den leicht geöffneten Schnabel tropfen. Zuerst schwerfällig, dann immer eifriger, begann der Vogel zu schlucken. Nachdem das Tier seinen Durst gestillt hatte, nahm der junge Mann eine lange, abgerundete Pinzette und pickte damit einen kleinen Fleischbrocken auf. Behutsam bemühte er sich, ihn in den Schnabel zu stopfen, doch der Vogel verweigerte die Nahrung. Nach einigen Fehlversuchen gab der Mann auf. „Ich glaube, er ist völlig erschöpft. Ich setze ihn in einen Käfig und schaue heute Abend noch einmal nach ihm.“

Er stand auf und streckte erst Nela, dann Jannis die Hand hin. „Übrigens, ich heiße Sebastian. Wo habt ihr den Vogel eigentlich gefunden?“

Jannis wurde rot. Vor lauter Aufregung hatten sie sich nicht einmal vorgestellt. „Ich heiße Jannis und das ist Nela. Wir haben ihn bei ...“ Nela versetzte Jannis einen warnenden Stoß in die Seite. Um ein Haar hätte er ihren Geheimplatz verraten und es war ein unausgesprochenes Gesetz zwischen ihnen, das niemals zu tun. „... wir haben ihn im Englischen Garten gefunden“, fuhr er lahm fort.

Nela, die seit geraumer Zeit gar nichts mehr gesagt hatte, räusperte sich. „Was ist das für ein Vogel? Ich will ihn lieber wieder mitnehmen. Ich kümmere mich um ihn, ich habe schon vielen verletzten Tieren geholfen!“ Kampflustig schob sie ihr Kinn nach vorne und begegnete Sebastians nachdenklichem Blick.

„Der Vogel ähnelt einem Falken, es könnte ein Gerfalke sein. Allerdings habe ich noch niemals einen Gerfalken mit derartig reinweißem Gefieder gesehen, und die Augen von diesem Exemplar sind bernsteinfarben, fast golden. Normalerweise sind sie dunkelbraun. Ich werde unsere Vogelexperten fragen. Und ich würde euch dringend raten, den Vogel erst einmal hierzulassen. Er braucht Ruhe. Außerdem hast du keinen Käfig, oder?“ Er sah sie fragend an und nickte vielsagend, als sie unwillig den Kopf schüttelte. „Wenn er sich etwas erholt hat, braucht er in regelmäßigen Abständen Futter. Ich verspreche dir, dass ich für ihn sorge, und du kannst auf jeden Fall morgen vorbeikommen und ihn besuchen. Dann besprechen wir, was mit ihm geschieht, wenn er wieder gesund ist.“ Sebastian berührte sie sanft an der Schulter. „Okay?“

Nela schluckte. Sie fühlte sich hin und hergerissen. Einerseits fand sie Sebastian sehr nett und war beeindruckt von seinem Wissen und davon, wie sicher und liebevoll er mit dem Tier umgegangen war. Aber da war diese Stimme, die sie gerufen hatte und das merkwürdige Gefühl in ihrem Bauch. Irgendetwas war nicht richtig, sie wusste nur nicht, was es war. Zögernd schaute sie Jannis an. „Was meinst du?“

Jannis nickte bestimmt. „Ich finde, das klingt super. Hier geht es ihm gut.“ Er wandte sich an Sebastian. „Wann können wir wiederkommen? Gleich morgen nach der Schule?“

Sebastian überlegte. „Morgen ist Freitag, da komme ich erst am Nachmittag hierher. Könnt ihr um fünf Uhr an der Tür am Parkplatz sein? Besucher sind hier nicht erlaubt, aber wenn wir uns hinten an der Tür treffen, kann ich euch hereinschmuggeln.“  Er zwinkerte ihnen zu.

Jannis verzog bedauernd das Gesicht. „Mein Training dauert bis fünf. Kannst du um fünf Uhr da sein, Nela, und ich komme nach?“

Nela nickte langsam. „Ok, dann machen wir es so. Danke für alles.“ Sie zögerte einen Moment und suchte in ihren Hosentaschen herum. „Was kostet das?“ Sebastian winkte ab. „Lass nur, das ist schon in Ordnung. Wir sind keine offizielle Tierarztpraxis. Und ich bin auch kein fertig ausgebildeter Tierarzt, sondern Student.“

Nela atmete erleichtert auf. Sie hatte kaum etwas von ihrem Taschengeld übrig und bis zum nächsten Monatsanfang war es noch einige Zeit hin. Sie gab sich einen Ruck und schenkte Sebastian ein kleines Lächeln. „Gut, dann bis morgen. Tschüss, weißer Falke.“ Sie strich dem Vogel zart mit dem Finger über den Kopf. Das verletzte, hilflose Tier rührte sie und ihr stiegen Tränen in die Augen. Plötzlich fröstelte sie.

Sebastian brachte sie durch den endlos lang erscheinenden Flur zurück zu der großen Holztür und verabschiedete sich mit einem kameradschaftlichen Winken. „Macht es gut, bis morgen!“

Die Tür fiel mit einem dumpfen Laut hinter ihnen zu und Nela und Jannis standen auf der Straße.

+++ +++ +++

Textprobe: Yngra Wieland

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