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    Leseprobe aus "Das Lied des Wüstenvogels - Eine wahre Lebensgeschichte"

von Michael Krause-Blassl

Taschenbuch, 298 Seiten, ISBN: 978-3-96050-035-3

Inhaltsverzeichnis

Vorwort
1. Kapitel: Altes und neues Leben
2. Kapitel: Reise durch Jugoslawien
3. Kapitel: Ende in Jugoslawien
4. Kapitel: Anfang in Deutschland
5. Kapitel: Frankfurter Impressionen
6. Kapitel: Orangefarbige Reise durch Europa
7. Kapitel: Zurück in Frankfurt
8. Kapitel: Tod und Leben
9. Kapitel: Aufbruch und Leben
10. Kapitel: Ende der Suche
Heimat: Annäherungsversuche

Vorwort

Diese Erzählung handelt von einem, der auszog, (s)eine Heimat zu finden, der dabei das Fürchten lernt und zum Schluss ankommt.

So könnte man – sehr verkürzt – den Inhalt des vorliegenden Romans beschreiben.

Die Suche erweist sich als sehr schwierig. Viele Enttäuschungen, Entbehrungen werden zu überstehen sein, bis hin zu physischen, psychischen und geistigen Bedrohungen, gegen die ein freies, menschenwürdiges Leben erkämpft, durchgesetzt werden muss.

Die vielen Wegweiser deuten in falsche, einseitige Richtungen: Nationalismus, Hippietum, Marxismus, Christentum ... können nur dem Sicherheit und Anlehnung bieten, der sich ihnen unterwirft und die Vielfalt alles Lebendigen zu Gunsten dogmatischer, alles andere ausschließender Glaubensregeln leugnet.

Die kleinen, bruchstückhaften Teile von Wahrheit, die in allen Ideologien stecken, müssen mühsam aus ihren vereinfachenden Zusammenhängen herausgelöst, herausgebrochen und zu einem bunten Mosaik des ganzen Lebens zusammengesetzt werden. Obwohl auch dieses Unterfangen immer nur Stückwerk bleiben kann.

Die Irrfahrt durch zwei verschiedene Gesellschaftssysteme, die unseren Planeten überziehen, ihn einschnüren und zu erdrücken drohen, kann nur dann ein Ende finden, wenn beide als überholt und unfähig erkannt werden, die drängenden, dringenden Probleme der Menschheit zu lösen – konstruktiv und auf Dauer.

Sozialismus und Kapitalismus können dem, der nach Entfaltung und Freiheit strebt, keine Heimat, keinen Frieden bieten.

Der Suchende wird auf sich selbst zurückgeworfen und steht – zumindest für eine Weile – allein und außerhalb.

Auch von dieser Einsamkeit handelt das Buch – von dieser notwendigen, furchtbaren und allem misstrauenden Verlassenheit, die entweder in die Abhängigkeit von Ideologien oder anderen Drogen führt – oder aber sich kämpfend einen Weg ins eigene, selbstbestimmte Leben bahnt.

Und dort, nur dort, liegt das kleine Fleckchen Heimat, das uns (heute) noch vergönnt ist.

1. Kapitel: Altes und neues Leben

Am Abend nach der Auseinandersetzung mit dem Vater irrte er stundenlang ziellos durch die Stadt, erfüllt von unzähligen Fragen. Die Kälte der klaren Winternacht schien ihm nichts auszumachen, denn in ihm brannte es.

Irgendwie fand er es sonderbar, dass alles wegen seiner langen Haare geschehen war, einer bloßen Äußerlichkeit, die ihm aber so wichtig war, dass er verbissen und fanatisch daran festhielt. Vielleicht zum ersten Mal in seinem jungen Leben wollte und konnte er nicht nachgeben, musste er seine eigenen Vorstellungen durchsetzen und war bereit, den hohen Preis dafür zu zahlen.

Seine langen Haare, durch die er sich bestätigen und verwirklichen wollte, hatten nicht nur die Trennung von seiner Familie, sondern auch eine starke Entfremdung von der übrigen sozialistischen Gesellschaft bewirkt. Von den Erwachsenen befand sich fast niemand auf seiner Seite, keiner von ihnen konnte oder wollte ihn verstehen.

Plötzlich wurde ihm kalt und er knöpfte die Jacke zu.

All die bürgerlichen, marxistischen und christlichen Ideale, von denen oft in der Schule oder im Hause des Vaters die Rede gewesen war, hatten sich als Lügen entpuppt. In der Gesellschaft, an deren Rand er sich nun befand, schien nur das Äußere und Materielle wichtig zu sein, Wert zu haben.

In der Schule hatte man oft versucht, ihn davon zu überzeugen, dass der Kapitalismus Schuld an allem Bösen und Schlechten dieser Welt wäre.

Man führte die Diskriminierung der Schwarzen in den Vereinigten Staaten, die Judenverfolgung in Nazi-Deutschland und die unsozialen Verhältnisse zwischen den Armen und Reichen als Beispiel an. Doch er war weder ein Schwarzer in Amerika noch ein Jude im Deutschland des Zweiten Weltkriegs, aber Benachteiligungen und Beschimpfungen hatte auch er erdulden müssen, schon viel zu oft. Er musste erkennen, dass Ungerechtigkeiten weder vor politischen noch vor nationalen Grenzen Halt machten, dass Menschenverachtung an keine bestimmte Gesellschaftsordnung gebunden war.

Eine eisige Angst ergriff ihn. Vielleicht war es in diesem Augenblick, als er seine Heimat verlor. Es sollte lange dauern, bis er sich wieder heimisch fühlen konnte.

Im Morgengrauen begann es, leicht zu schneien. Erst jetzt bemerkte Wladimir, dass er die ganze Nacht durch die Straßen gelaufen war, gehetzt und getrieben von einer merkwürdigen inneren Unruhe. Erste Menschen kamen ihm entgegen, ohne ihn zu beachten.

Kurze Zeit später saß er im warmen Abteil eines Schnellzugs, der von Zagreb nach Karlowatz fuhr. Er hatte sich überlegt, zu seinem Großvater zu gehen, einem einfachen, meistens freundlich gestimmten 83-Jährigen. Er war der einzige Erwachsene in der Familie, mit dem Wladimir immer gut ausgekommen war.

Großvater zeigte sich zunächst überrascht, aber dann erhellte sich sein Gesicht und er lächelte. Er kam seinem Enkel entgegen, drückte ihn kurz und hieß ihn willkommen. Im ersten Moment war Wladimir etwas verwirrt von diesem warmherzigen Empfang, dann erwiderte er die Umarmung. Die echte Freude seines Großvaters übertrug sich auf ihn und er fühlte sich erleichtert.

Einige Minuten später saßen sie in der Küche und frühstückten zusammen. Sie sprachen zunächst über belanglose Dinge: Was es Neues in Zagreb gäbe, ob die Mutter aus Deutschland geschrieben habe …

Dann aber hielt es Wladimir nicht mehr aus und sagte hastig: „Ich habe mich mit dem Vater gestritten. Er hat mich aus dem Haus gejagt.“

Merkwürdigerweise reagierte sein Großvater ziemlich gelassen und fragte nur: „Wie soll es denn jetzt mit der Schule weitergehen?“

Er wusste nicht, dass sein Enkel nicht mehr zur Schule ging und auch keine Lehrstelle gefunden hatte.

Offensichtlich war seinem Großvater nicht bewusst, dass man für eine gute Berufsausbildung nicht nur Glück, sondern auch kurze Haare haben musste. Wladimir erklärte: „Ich werde meinen Schulabschluss später nachholen.“

Großvater meinte: „Du kannst bei mir bleiben, solange du willst.“

Da wurde Wladimir bewusst, wie einsam sein Großvater war, dass er ihn trotz seiner geringen Rente bei sich wohnen lassen wollte. Eine Mischung aus Mitleid und Dankbarkeit durchströmte ihn. Wladimir antwortete: „Ich werde gleich der Mutter nach Deutschland schreiben, dass sie das Geld für mich jetzt hierher schicken soll.“

Als er mit dem Frühstück fertig war, fühlte sich Wladimir seit längerer Zeit wieder ausgezeichnet. Die Wärme der Küche und die Bereitschaft seines Großvaters, ihn hier aufzunehmen, versetzten ihn in eine gehobene Stimmung. Er beschloss, sich viel Mühe zu geben, um gut mit Großvater auszukommen und ihm so viel wie möglich zu helfen.

Die Tage vergingen. Großvater und er gewöhnten sich schnell an die neue Situation. Ihr Zusammenleben gestaltete sich ohne größere Konflikte, manchmal sogar recht harmonisch. Jeden Morgen ging Wladimir hinunter in den Hof, hackte Holz, trug es in einem alten Weidenkorb hinauf und machte Feuer im Ofen. Großvater kochte und beide erledigten den Rest der Hausarbeit gemeinsam. Wladimir ging nur in die Stadt, um einzukaufen, sodass er die Beschimpfungen und Beleidigungen wegen seiner langen Haare nur selten ertragen musste.

Häufig erzählte der Großvater von früheren, weit zurück­liegenden Tagen, als Kroatien noch Teil der österreichisch-ungarischen Monarchie gewesen war. Dann schwärmte er von dem besseren Leben, das man damals geführt hätte. Außerdem behauptete er, dass die Menschen in seiner Jugendzeit viel ehrlicher und bescheidener gewesen wären.

Wladimir bezweifelte das stark, konnte seinem Großvater natürlich nicht das Gegenteil beweisen. Er war fest davon überzeugt, dass die damaligen Spießbürger die heutigen bei weitem übertroffen hatten. Was ihn jedoch immer wieder verwunderte und in freudiges Erstaunen versetzte, war die ausgeprägte Zufriedenheit und Toleranz des Großvaters, der aus einer längst verblichenen Epoche stammte. Denn dieser war ja auch ein Erwachsener, von denen fast alle Wladimir feindlich gesonnen waren. Trotzdem akzeptierte er die langen Haare und den Musikgeschmack seines Enkels. Ein einziges Mal hatte der alte Mann gesagt, dass ihm die langen Haare nicht gefielen, dass aber Wladimir sie tragen müsse und nicht er. Auch die Musik des Jüngeren war nicht nach seinem Geschmack, aber da er schlecht hörte, störte sie ihn nur wenig.

Wladimir begann, viel zu lesen. Die Mutter hatte eine Menge Bücher angeschafft und bei Großvater gelassen. Oft besorgten sie sich Zeitungen und Zeitschriften, die voll waren mit Berichten über imperialistische Kriege und die Auswirkungen des europäischen und amerikanischen Kapitalismus. Nicht selten wurden auch gewaltsame Haarschneideaktionen bei jugoslawischen Langhaarigen beschrieben.

Abends pflegte Großvater oft mit einer Nachbarin Karten zu spielen. Dann hörte Wladimir Radio Luxemburg und wurde unaufhaltsam von der unerlässlichen Beatmusik mitgerissen, davongetragen in eine andere, friedlichere Welt.

Einmal gingen die beiden zum Friedhof, um das Grab der Großmutter zu besuchen.

Dieser kurze Ausflug war begleitet von vielen Entrüstungen und Zurufen vorbeigehender Leute wegen Wladimirs langer Haare. So beschloss er, nur noch so selten wie möglich in die Stadt zu gehen. Diese Leute sollten sich gefälligst jemand anderen suchen, auf dessen Kosten sie ihre Langeweile überwinden konnten.

In den Zeitungen und im Fernsehen wurde jedoch weiterhin von Rassendiskriminierungen in den USA und in Südafrika berichtet, und fast immer wurde dem Kapitalismus und nicht der menschlichen Dummheit und Intoleranz die Schuld dafür gegeben.

Sein Großvater war in Slowenien geboren, das ebenfalls einmal zur österreichisch-ungarischen Monarchie gehört hatte. Im Laufe seines langen Lebens hatte er vier Staaten und vier Kriege erlebt. In frühester Jugend hatte er sich freiwillig gemeldet, um an den Balkankriegen teilzunehmen. Dort hatte er viele seiner Kameraden verloren, beinahe sogar das eigene Leben, sodass er, wie er sich ausdrückte, seine jugendliche Torheit bald bereut hatte.

Kurz nach Beendigung dieser beiden Kriege brach der Erste Weltkrieg aus. Großvater wurde sofort in die österreichisch-ungarische Armee eingezogen.

Er hatte an der Belagerung von Belgrad und an manch anderen Schlachten teilgenommen, die ihm sonderbarerweise viele schöne Erinnerungen beschert hatten. Das Kriegsende vier Jahre später war gezeichnet durch große Flüchtlingsströme und den Zerfall der österreichisch-ungarischen Armee und Monarchie. Noch immer konnte der Großvater nicht begreifen, wie ein zu Kriegsanfang so mächtiger Staat eine solche Niederlage hatte erleiden können.

Während des Zweiten Weltkriegs wurde Kroatien unabhängig. Nach diesem Krieg wurde es Teil des sozialistischen Jugoslawiens.

Gebannt lauschte Wladimir seinem Großvater, als dieser erzählte, wie er einmal während des Ersten Weltkriegs mit zwei anderen Soldaten Wache gehalten hatte. Er hatte zwischen den beiden auf einer Bank gesessen. Plötzlich hatten zwei Schüsse geknallt, und seine beiden Kameraden waren tot umgefallen. Ihm war nichts geschehen.

Von allen Kriegsgeschichten seines Großvaters beeindruckte eine Wladimir besonders stark und er musste oft über sie nachdenken:

Während der Besetzung Belgrads durch die österreichisch-ungarische Armee im Ersten Weltkrieg erhielten alle Soldaten der Besatzungsarmee den Befehl, in der Stadt für Ordnung zu sorgen und bei der kleinsten Unruhe sofort zu schießen.

Es war kaum möglich, Ruhe herzustellen, weil die Bewohner Belgrads die Niederlage nicht hinnehmen wollten. Immer wieder wurde aus Fenstern und von Dächern auf die Besetzer geschossen. So gerieten eines Tages auch Wladimirs Großvater und zwei andere Soldaten, gute Freunde von ihm, unter Gewehrfeuer. Die Schüsse kamen aus dem ersten Stock eines nahegelegenen Hauses. Sofort stürmten die drei hinein. Dort erblickten sie eine Frau mit einem kleinen Kind auf dem Arm. Die Frau weinte und flehte die Soldaten an, sie zu verschonen. Da drehten sie sich um und wollten wieder gehen. Die Frau jedoch griff nach einem versteckten Gewehr und erschoss einen der beiden Freunde des Großvaters. Wie von Sinnen fielen die anderen zwei über die Frau und ihr Kind her und stachen mit ihren Bajonetten auf sie ein, bis sich beide nicht mehr rührten.

Vielleicht hätte Großvaters Kamerad das Ende des Krieges noch erlebt, wenn sich die drei an die Order gehalten hätten und mitleidlos, ohne viel nachzudenken, die Frau und das Kind sofort erschossen hätten. Wie so oft in kriegerischen Auseinandersetzungen gab es auch hier nur die Möglichkeit, sich falsch zu entscheiden, vielleicht, weil jeder Krieg eine falsche Entscheidung ist?

+++ +++ +++

Textprobe: Michael Krause-Blassl

© 2017 Franzius Verlag GmbH

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