Leseprobe "Der weise Zauberer - Traumreise ins Zauberland"
von Mirjam Wyser
Alter: 5 - 12 Jahre, Taschenbuch, 114 Seiten, ISBN 978-3-96050-031-5
Mit 26, zum Teil ganzseitigen Illustrationen des Künstlers Johann Sonderegger
Inhaltsverzeichnis
Der Kirchturm
Das Wolkenschloss
Die Bootsfahrt
Der weise Zauberer
Die uralte Mühle
Die Panflöte
Wildgänse
Die Zwergenhöhle
Das Burgtor
Im Rittersaal
Die Himmelsfenster
Das Einhorn
Der Roboter
Mäx und Lena – zwei Hunde
Schmetterlinge
Die Lotusblume
Klangschalen
Der Hüter der Zeit
Wieder im Rittersaal
Die Lichterburg
Der Kirchturm
Vom Kirchturm schlägt es halb acht. Daniela, ein Mädchen von acht Jahren, wartet ungeduldig unter dem großen Lindenbaum, der mitten auf dem Dorfplatz steht. Ihre blonden, langen Haare hat sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Am Rücken hängt ihr bunter Schulrucksack.
Eben noch schien die Sonne und jetzt fällt aus einer dunklen Wolke ein Platzregen, der alle durchnässt. Michael kommt pudelnass um die Hausecke gerannt, wie immer in letzter Minute. „Daniela!“, ruft er außer Atem. „Schau, dieser wunderschöne Regenbogen! Die Sonne spiegelt sich in den Regentropfen!“
„So wunderbar, er ist wie eine Brücke in die Zauberwelt! Wir müssten seinen Anfang erreichen. Aber wo mag das Ende sein?“, spekuliert Daniela.
„Du Träumerin mit deiner Zauberwelt! Das Ende des Regenbogens ist vielleicht in Indien!“, lacht Michael. „Aber was meinst du mit ‚Zauberwelt’?“, fragt er dann neugierig.
Daniela erwidert: „Ich erzähle es dir später! Wir sind sowieso schon spät dran.“
Sie packen die Riemen der Schulrucksäcke fester und rennen los. Knapp geschafft – der Lehrer fasst gerade die Türklinke, um die Schulzimmertüre zu schließen.
Obwohl Michael Daniela manchmal hochnimmt, hört er ihren spannenden Geschichten immer gerne zu. Vorerst aber gilt es abzuwarten, bis die Pausenglocke läutet.
Die beiden kennen sich schon aus dem Kindergarten. Michael ist ein witziger Junge, immer zu Späßen aufgelegt. Daniela ist etwas ernster. Sie lieben es, sich Träume und andere Geschichten zu erzählen.
Das ist ein kleines Geheimnis, das nur ihnen gehört.
Manchmal machen sich die Mitschüler lustig über die beiden. Aber diese Hänseleien sind ihnen letztlich egal.
Noch ahnen Daniela und Michael nicht, dass die Traumwelt einige Überraschungen für sie bereithält. Sie können nämlich nicht sehen, wie sie durch ein Wolkenfenster vom weisen Zauberer beobachtet werden.
Das Wolkenschloss
Irgendwo zwischen Himmel und Erde steht ein traumhaftes Wolkenschloss. Dort wohnt der weise Zauberer! In seinem Schloss stehen viele Webstühle. Webermeister Poldi ist die gute Seele an diesem Ort. Er sorgt dafür, dass die Webstühle immer gut gewartet sind. Die Feen in dem Schloss lieben Poldi. Er ist immer zu einem Späßchen aufgelegt. An seinen Webstühlen weben die Feen mit dem Sternenstaub, den Mondstrahlen und dem Mondensilberlicht die Stoffe, aus denen die Träume sind.
Dem Webermeister Poldi gehört der schönste Himmelsblumengarten. Seine Blumen schweben wie farbige Blumenballone in der Luft. Zusätzlich sammeln die Feen die Blumensternenlichter ein und weben daraus farbige Träume für die Kinder.
In einem andern Raum des Schlosses studiert der Dirigent Feigel mit den Engeln eine neue Himmelsmusik ein! Er ist äußerst streng, denn seine geschulten Ohren können keine falschen Töne ertragen. Die Sphärenmusik muss perfekt sein, das wissen alle Schlossbewohner. Sie können durch die Schlossfenster auf die Erde schauen. Einige Feen suchen nach freundlichen Kindern, denen sie besonders schöne Träume schicken. Die auserwählten Kinder werden mit den kunstvoll gewobenen Traumstoffen umhüllt. Für diese Kinder öffnet sich nachts das Tor zum Wolkenschloss, und sie können ins Zauberreich sehen.
Sogar Feen fällt es schwer, frechen und streitsüchtigen Kindern Träume zu schicken – Kinder, die andere verspotten oder anderen etwas zuleide tun. Diese Kinder würden die Feen auslachen und verspotten. Mit ihren bösen Gedanken und Handlungen zerreißen sie die zart gewobenen Stoffe, aus denen die wunderbaren Träume der Feen sind, schon bevor die Traumhüllen bei den Kindern angekommen sind.
Eine Riesenfreude haben die Feen, wenn sich streitsüchtige Kinder ändern und freundlich werden. Dann schicken die Feen auch ihnen schöne Träume, sodass sie sich nachts nicht mehr fürchten müssen.
Die guten Träume, die aus dem Zauberschloss auf die Erde geschickt werden, haben eine große Zauberkraft. Die Feen arbeiten fleißig, damit eines Tages alle schlechten Träume der Kinder verjagt werden können.
Daniela und Michael sind im Schlaf mit wunderschön gewobenen, goldenen Traumstoffen umhüllt worden. Das Tor zum Zauberschloss steht ihnen offen und sie können eintreten. Heute haben die Feen Besuch von den Zwergen bekommen. Sie diskutieren angeregt miteinander. Aufmerksam lauschen die beiden Menschenkinder dem Gespräch. Es geht um den Namen des weisen Zauberers.
Die Zwerge nennen ihn den großen Zauberer Bommel. Bei den Feen heißt er Aurum. Wer hat Recht? „Bommel ist doch gar kein richtiger Name für einen so großen Zauberer!“, sagt eine Fee zu den Zwergen.
„Aurum ist auch nicht besser! Übersetzt heißt es Gold!“, entgegnen die Zwerge ärgerlich. „Wir Zwerge haben ihn immer Bommel genannt.“
Daniela und Michael schauen einander an. „Was für einen Namen würdest du dem Zauberer geben?“, fragt Daniela. Michael überlegt, macht einige Vorschläge, doch Daniela schüttelt nur den Kopf. Nichts scheint ihr gut genug zu sein. „Nennen wir ihn doch auch Bommel, wie es die Zwerge tun!“
Da erscheint er persönlich, der große weise Zauberer! Daniela und Michael halten vor Staunen die Luft an. Der große Zauberer ist wie ein großes, helles Licht, wie eine Sonne! Sein Kleid ist aus den schönsten Himmelslichtern gewoben. Jede Fee durfte einen Teil seines Kleides weben und hat dabei ihr Bestes gegeben. Der Zauberer wendet sich an die Feen und Zwerge: „Ich will nicht, dass wegen meines Namens gestritten wird! Niemand kennt meinen wirklichen Namen! Er hat eine große Zauberkraft, die man missbrauchen könnte! Meinen Namen habe ich noch nie verraten! Beide haben Recht: die Zwerge und die Feen.“
Im Dienst des weisen Zauberers steht auch der kluge Acello mit den magischen Haaren. Zu ihm gehört das geflügelte Pferd Kevin. Blitzschnell ist er dort, wohin er gerufen wird, sei es im Himmel, sei es auf der Erde. Wenn es dunkel wird und der Mond am Himmel steht, dann leuchtet Acellos dunkel glänzendes Haar ihm den Weg, auch in finsterster Nacht. Von der Erde aus erscheinen Acello und Kevin wie eine Sternschnuppe.
Um am Morgen die Kinder aus dem tiefen Schlaf zu wecken, mussten die Eltern zweimal rufen. Doch dann sind sie schnell aus den Betten gehüpft. Michael erscheint pünktlich am Treffpunkt! Er konnte es kaum erwarten, Daniela nach ihren Träumen zu fragen. Sie hat den großen, weisen Zauberer auch gesehen! Auf dem ganzen Schulweg erzählen sie einander ihre Traumerlebnisse, bis ins kleinste Detail!
Jetzt wissen sie, dass sie gemeinsam im Reich der Träume beim weisen Zauberer waren.
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