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Cover Blutspur 629 von Neal Skye aus der Rich & Mysterious-Reihe Leseprobe "Rich & Mysterious: Blutspur 629"

von Neal Skye

Taschenbuch, 368 Seiten, ISBN: 978-3-96050-214-2

Band 3 der Reihe, 39 Kapitel und eine Portrait-Zeichnung des Protagonisten Niclas "Rich" Richmond

Kapitel 1

Ich kam mir vor, wie bei einem Vorstellungsgespräch. Auf der einen Seite ein Journalist, der seit fünfundzwanzig Jahren regelmäßig Titelstorys abgeliefert hatte, dessen Name in der Branche zwar selten mit Sympathie, aber stets mit Respekt ausgesprochen worden war – auf der anderen: Er. Marc Vineyard, Chefredakteur. Ein Journalist, von dem noch nie jemand außerhalb von Manhattan etwas gehört, geschweige denn gelesen hatte. Sicher, der NYC Mercury war innerhalb nur eines Jahrzehntes zum zweitwichtigsten Blatt in New York aufgestiegen; das war mir nicht entgangen. Ebenso wenig wie Vineyards freundliches Lächeln, das eine Spur zu aufgesetzt wirkte.

»Mr. Richmond, Rich, ich darf Sie doch Rich nennen?«

»Nur zu, Marc!«, entfuhr es mir.

»Ich habe Ihren Artikel über Riker's Island gelesen. Dieser Marty McKinnan-Fall«, fuhr Vineyard unbeirrt fort. »Das Pilotprojekt ›Briefe aus dem Knast‹ und Ihre Einleitung dazu. Sehr berührend, muss ich sagen.«

So – musste er das? »Danke, das ist mein Job. Schreiben, Menschen berühren, Menschen zum Nachdenken zu bewegen.«

Marc lächelte. Und, ehrlich gesagt, musste ich über so viel Gesülze selbst schmunzeln. Bei meinem ersten Vor­stellungs­gespräch vor gut fünfundzwanzig Jahren beim Buffalo Star hatte ich ähnlich geklungen. Nur, dass das heute kein Vorstellungsgespräch war, sondern … ja, was eigentlich?

»Ich habe mich ein wenig über Sie erkundigt. Ich wusste natürlich von Ihrer Rolle beim Hedderby-Fall, davon hat Sara mir bereits ausführlich berichtet.«

Es überraschte mich keinesfalls. Immerhin hatte Sara mir vor zwei Monaten schon zu einem Praktikantenausweis verholfen, der mir das Gespräch mit McKinnan erst ermöglicht hatte. Danach hatte sie immer wieder angedeutet, dass der NYC Mercury die Stelle ihres ermordeten Kollegen Brian O’Reilly immer noch nicht wieder dauerhaft besetzt hatte. Als wenn es nicht schon ausreichte, dass mir eine ehemalige Klientin Unterkunft, Verpflegung und einen Arbeitsplatz in ihrer Villa angeboten hatte. Keinen Job beim NYC Mercury! Diese Platte hatte schon einen Sprung, sooft hatte ich sie gespielt. Aber wer wie Sara in den 90ern aufgewachsen war, dem waren Platten wohl fremd. Sicher hatte sie mich bei ihrem Chef nicht angeboten wie Sauerbier, aber offenbar ein bisschen über mich geplaudert. Vielleicht in der Hoffnung, Vineyard würde sich von selbst nach mir erkundigen. Dann konnte sie mit einem völlig unschuldigen Blick behaupten, dass er sie angesprochen hatte – und dafür konnte sie ja nichts.

Marc Vineyard sah mich prüfend an. »Sehen Sie, als Sara von Ihnen sprach, dachte ich: Schön, er hatte ein paar Erfolge. Der Hedderby-Fall – das war Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger – das ist Geschichte, nicht wahr?« Das war sicher keine Antwort wert. Zumal ich dem kaum widersprechen konnte.

»Es war bestimmt nicht leicht für Sie, nach so einer Nummer wieder zurück in den Journalistenalltag zu finden, Sie waren ja auch noch so jung. Sind Sie deswegen Privatdetektiv geworden?«

Ich stöhnte. Und was ist Ihre Geschichte? Warum sind sie Hobbypsychologe geworden? Allein der Respekt vor Sara verbot es mir, diesen Gedanken auszusprechen.

»Vielleicht … Ist lange her.«

»Sehen Sie, das dachte ich auch. Als Sara Sie mal ins Gespräch brachte, habe ich mich gefragt, was sollen wir mit einem ausgebrannten, ehemaligen Sensationsreporter?«

Was soll ich bei so einer biederen Zeitung wie dem NYC Mercury? Wäre so meine Gegenfrage gewesen. Und natürlich hatte Sara ihn gefragt. Gegen meinen ausdrücklichen Willen!

»Und dann las ich per Zufall über diesen Fall in New Orleans. Das ist erst ein gutes Jahr her. Ich habe Ihre Artikel alle im Detail gelesen. Old School – so was sieht man heute nur noch selten.«

Old – ich schluckte – Old School? Ich überlegte ernsthaft, ob ich ihm eine scheuern sollte.

»Und natürlich habe ich mich gefragt, was für Quellen Sie da genutzt haben.«

Ich starrte ihn ungläubig an. Was glaubte der Typ eigentlich, wen er da vor sich hatte? Strahlte ich eine solche Verzweiflung aus? Kopfschüttelnd blickte ich ihn mit einer Mischung aus amüsiert und verärgert an.

»Falls Sie da eine Antwort von mir erwarten …«

Statt etwas zu erwidern, stand Vineyard mit einem Schmunzeln auf, drehte sich zu dem Highboard hinter seinem Schreibtisch und schenkte sich seelenruhig einen Kaffee ein.

»Wie trinken Sie Ihren?«, fragte er mich.

Am liebsten allein, lag mir auf der Zunge.

Stattdessen hörte ich mich freundlich »Danke, nein« sagen und erhob mich langsam aus dem unbequemen Bürostuhl vor Vineyards Schreibtisch. »Hören Sie, wir können das an dieser Stelle beenden, Marc. Was ich über New Orleans zu sagen habe, kann man alles im Buffalo Star nachlesen. Über Hintergründe kann ich mit Ihnen nicht sprechen. Über Quellen rede ich ohnehin niemals. So einen guten Kaffee können Sie mir gar nicht anbieten.«

»Nun setzen Sie sich wieder!« Vineyard schüttelte schmunzelnd den Kopf. Der Typ fing an, mich zu irritieren, aber dennoch ließ ich mich in den Stuhl zurückfallen.

»Rich, das ist mir alles klar und Ihre Reaktion zeigt mir, dass Sie genau der Richtige sind.«

»Der Richtige für was?«

»Es geht um die Briefe-aus-dem-Knast-Reihe und die Geschichten der Menschen dahinter. Ich will das gerne als Serie bringen. Aber nicht als Tränendrüsenorgie, auch nicht als Zurschaustellung. Das soll sich nicht lesen wie ein Zoobesuch, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

Damit konnte ich etwas anfangen. Der Typ war in meinem Rating gerade signifikant gestiegen.

»Handfest, Rich, authentisch sollte es sein! Echte Menschen, echte Geschichten! Und dazu brauche ich jemanden, der keine Herzattacke bekommt, weil er einen Gefängnisinsassen interviewt. Jemand wie Sie!«

Ich fühlte mich schon etwas geschmeichelt. Er lag richtig. Einige meiner früheren Ermittlungen als Privatdetektiv hatten mich in verschiedene Gefängnisse von Niagara County geführt und mit Sara hatte ich grade erst für meinen letzten Auftrag Riker’s Island einen Besuch abgestattet. Ich verstand, dass sie so schnell kein Gefängnis mehr betreten wollte. Ich dagegen hatte da keine Hemmungen.

»Buffalo«, sagte er mit fast leuchtenden Augen. »Genauer gesagt: das ›Buffalo Correction Center‹.«

»Okay.« Ich bemühte mich, es so belanglos klingen zu lassen, wie ich nur konnte. Was zum Teufel wusste er? Zum zweiten Mal in vier Tagen ging es also um einen Insassen des Buffalo Correction Centers. Wahrscheinlich hätte ich mich nicht gewundert, wenn wir uns in der Redaktion des Buffalo Star befunden hätten, aber der NYC Mercury hatte seinen Sitz in Greenwich Village, Manhattan, etwa sechseinhalb Autostunden von Buffalo entfernt. Ich glaubte nicht an Zufälle. Nicht in dieser Branche.

»Das sollte ein Heimspiel werden – die kennen mich da mit Vornamen.« Sofern »Rich« als Vorname durchgeht, dachte ich.

Vineyard grinste hinter seiner glatten Fassade, da ging ich jede Wette. Er musste mitbekommen haben, dass Sara im Archiv gesucht hatte nach …

»Brendan Vanenberg«, fuhr er fort und prüfte kurz meine Reaktion. »War früher Polizeireporter in Jersey, hat danach diverse Bücher rausgebracht. Vielleicht kennen Sie den Namen auch vom Fernsehen. Er trat in Dokumentationen als sogenannter Experte auf.«

Ich verneinte. »Ich schaue so gut wie nie fern.« Das war die Wahrheit. »Und ein Polizeireporter als Experte sagt auch schon einiges über die Sendung aus.« Wenn ich fernsah, dann zur Entspannung. Keine Pseudoreality-Shows.

»Hat sich die letzten Jahre aus der Öffentlichkeit weitestgehend zurückgezogen und sich aufs Schreiben konzentriert.«

Davon kann man leben? dachte ich, bis mir die Ironie des Satzes bewusst wurde.

»Bevor er ins Gefängnis kam natürlich«, schob Vineyard nach, nachdem er meinen fragenden Blick vernommen hatte. »Sitzt dort seit August. Man hat bei einer Drogenrazzia größere Bestände Crack gefunden. Behauptete anfänglich, dass es ihm untergeschoben wurde.«

Das war Old School, dachte ich.

»Aber dann war er auf einmal voll geständig«, fuhr Vineyard fort. »Hat sogar die Quelle verraten, die ihm die Drogen verkauft hat. Der Dealer war schnell aufgeflogen. Er hat seine Quellen erwartungsgemäß nicht preisgegeben. Aber er hat Stein und Bein geschworen, dass er Brendan Vanenberg weder persönlich kennt, noch ihm je Stoff verkauft hat.«

Ich grinste. Der erwartungsvolle Blick, mit dem mich Vineyard nun ansah, war zu komisch. Es war, als habe er mir einen Knochen zugeworfen und wartete aufgeregt darauf, dass ich losrannte. Sollte ich weiter verbergen, dass ich mich mit dem Vanenberg-Fall bereits vertraut gemacht hatte?

»Und das war kein Teil der Verhandlung? Da hat noch nie jemand drüber berichtet?«

Vineyard schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich. Sie hatten sein Geständnis, es gab wenig Anlass, daran zu zweifeln und dass diese Frage ungeklärt blieb, hatte ja keinen Einfluss auf die Einschätzung, ob Vanenberg schuldig war oder nicht. Sein Anwalt hat die Sache offenbar auf sich beruhen lassen und die Presse hatte kein Interesse.«

»Kein Interesse bei einem ehemaligen C-Promi? Für mich riecht das faul. Offenbar gab sich jemand große Mühe, dass der Gestank sich nicht weiter ausbreitet.«

»Genau das hat mich auch gewundert. Und als ich mich dann daran erinnert habe, dass er im ›Buffalo Correction Center‹ sitzt …«. Vineyard sprach das Offensichtliche nicht aus.

»Das klingt aber nach einer größeren Sache als unsere kleine Serie«, wandte ich ein.

Vineyard nickte zustimmend. »Ich wusste, dass Sie das sagen. Wir reden auch erst mal nur über ein Interview mit Vanenberg. Ich lasse Ihnen die Unterlagen per E-Mail zukommen. Wenn da mehr dahintersteckt, reden wir über das Budget. Ansonsten erhalten Sie dasselbe Honorar wie beim letzten Mal. Plus Spesen für die Fahrt nach Buffalo natürlich.«

Ob ihm klar war, wie viel mein GTX schluckt?

Ich nickte und freute mich schon auf die Fahrt in meine Heimatstadt. Ich hoffte, bei Vince und Ellen übernachten zu können, nicht nur, um Geld zu sparen. Schätzte, der Mercury würde mir ohnehin nur ein Zimmer in einem einfachen Motel spendieren.

»Ich muss das erst noch mit meiner Arbeitgeberin besprechen«, sagte ich. Ob Vineyard wusste, dass Sara das war? »Wenn ich das anfange, dann richtig. Falls mehr dahintersteckt und ich mehr Zeit dafür benötige.«

Vineyard strahlte, als sei ich sein Lottogewinn. Er stand auf und schüttelte mir mit festem Griff die Hand. »Willkommen an Bord, Rich!«, sagte er und zwinkerte mir zu. »Eine Frage noch«, begann er, als ich schon halb in der Tür stand. »Wie Sie wissen, suchen wir auch im Bereich Festanstellung jemanden.«

Das war wieder typisch! Es war so klar, dass die Sache einen Haken hatte. Da reichte ich ihm den kleinen Finger und er griff nach der ganzen Hand. Ich schüttelte vehement mit dem Kopf, während er mich irritiert ansah.

»Ja – äh – mir liegt immer noch eine Bewerbung von einer Valerie Watson vor. Sara sagte mir, sie kennen sie?«

Daher wehte der Wind. Das wäre beinahe höchst peinlich geworden. »Ja«, erwiderte ich. »Ist die Tochter meines besten Freundes. Um ehrlich zu sein, habe ich ihr empfohlen, sich hier zu bewerben.«

Vineyard nickte. »Sie schreibt gute Artikel, hat gute Zeugnisse, gute Referenzen. Sie meinen, menschlich würde sie passen?«

Wie um alles in der Welt sollte ich das beurteilen können? So gut kannte ich Saras Team auch wieder nicht.

»Natürlich. Sonst hätte ich ihr nicht den Mercury empfohlen«, schoss ich aus der Hüfte. »Ich bin sicher, sie und Sara kämen hervorragend miteinander aus.«

Kapitel 2

Von dem üppigen Honorar des letzten Falles hatte ich kaum etwas ausgegeben, aber mein altes Blackberry war langsam in die Jahre gekommen und so hatte ich mir ein neues Spielzeug gegönnt: ein nagelneues Smartphone. Üblicherweise war der Großteil früherer Einnahmen immer in Reparaturkosten für meinen 69er Plymouth geflossen und das, was übriggeblieben war, hatte ich in einen vollen Tank und eine gute Flasche Connemara Single Malt Irish Whiskey investiert. Sicher, kanadischer Whisky hatte im Endeffekt dieselbe Wirkung. Immerhin konnte man inzwischen sogar Autos aus China kaufen, warum also keinen Whisky aus Kanada? Wobei, wenn man den irischen Whiskey schreibt und den schottischen Whisky, dann sollte man den kanadischen Visqui nennen. Jedenfalls jenen, den man bei Craigs Circle in Buffalo kaufen konnte.

Ich öffnete den Ordner »Brendan Vanenberg«. In gut einer Stunde hatte ich einen Termin im »Blue Mug Café« gegenüber der Grand Central Station mit Jack Morton von MortonHanson Publishers. Könnte ein neues Modell werden. Erst einen Auftrag als Privatdetektiv annehmen und anschließend den Fall an den Mercury verkaufen und das Honorar für den Artikel einkassieren. Nur das mit der Spesenabrechnung musste ich koordinieren …

Jack Morton hatte mich am Abend zuvor angerufen, sich aber sehr einsilbig verhalten. Ich hatte eine gewisse Ahnung, wie er auf mich gekommen war. Aber ich würde es gleich genauer erfahren. Etwa eine halbe Stunde blieb mir noch, also bestellte ich mir einen großen Latte Macchiato und zückte mein Smartphone. Es war unglaublich – dieses Ding war noch viel kleiner als mein Tablet, man konnte es einfach in seiner Hosentasche mit sich führen. Und wahrscheinlich stand da noch mehr drin als im Ratgeber »Per Anhalter durch die Galaxis«. Ich hatte die Idee seinerzeit für Unsinn erachtet, dass in so einem kleinen Buch eine ganze Enzyklopädie Platz finden sollte. Hätte ich so etwas doch schon besessen, als ich noch Privatdetektiv bei »Baker & Jones« war! Also fuhr ich mein neues Spielzeug hoch und begann das wenige, das ich am Abend zuvor zusammengetragen hatte, noch einmal zu überfliegen.

Brendan Vanenberg – fünfzehn Jahre beim Jersey Courier, davon elf in der Polizeiredaktion, danach drei Staffeln »Tatortreporter«. Dazu gab es diverse Videos aus der Sendung und Interviews, die ich mir lieber in Ruhe zu Hause ansehen wollte. Zumindest mal reinschauen. Dann gab es einige Ergebnisse zu seiner Buchreihe »Polizeireporter vom Dienst« und zu zwei Krimis, die er in Eigenregie herausgebracht hatte. In einer kleinen Lokalzeitung fand ich einen kurzen Bericht über den Prozess, aber darin stand noch weniger, als mir Vineyard berichtet hatte.

Enrique Valdueza. Der Name des Mannes, der Vanenberg hinter Gittern gebracht hatte. Angeblich. Der Mann, der verschwunden war, untertauchen konnte, obwohl die Polizei ihn verhört hatte. Zu diesem Namen hatte ich überhaupt nichts gefunden.

Der Verleger war pünktlich und bestellte sich einen schwarzen Kaffee.

»Was genau wollen Sie nun von mir?«, fragte ich ihn, nachdem er mir gegenüber Platz genommen hatte. »Sie sprachen von einem Auftrag.«

Morton nickte zufrieden. Ihm schien meine direkte Art zu gefallen. Immerhin waren wir nicht zum Nachmittagsplausch hier.

»Wir haben vor einigen Jahren das Buch ›Polizeireporter vom Dienst‹ herausgebracht und es wurde zwar nicht auf Anhieb ein Bestseller, aber schon die erste Auflage war kostendeckend. Der zweite Teil hat sich noch besser verkauft und mit dem dritten hatten wir eine Marke kreiert. Nicht nur Krimiautoren stürzten sich darauf, durch seinen Bekanntheitsgrad begannen die Zeitungen, darüber zu schreiben und so wurde die Reihe zu einem echten Erfolg.«

Morton nippte an seinem Kaffee und versuchte zu überspielen, dass er sich gerade seine Zunge daran verbrannt hatte.

»Jedenfalls hatte er Blut geleckt. Es sollte eigentlich keinen vierten Band geben, aber dann hielt ich das Exposé in den Händen sowie die ersten beiden Kapitel. Ich war schockiert. Es war – gut, stellenweise brillant, aber auch äußerst brisant. Und zwar brisant, obwohl er die Namen verfremdet hatte. Ein hochrangiger Politiker hieß Geoffrey Mash, ein Olympiateilnehmer Michael Miller und so weiter.«

»Hatten Sie gleich eine Vermutung, wer wirklich gemeint war?«

Morton grinste. »Bei dem Politiker sofort, bei dem Sportler habe ich meinen Sohn fragen müssen.«

»Was ich nicht verstehe: Sie hatten eine erfolgreiche Serie zusammen, er kommt offenbar mit Material zu Ihnen, mit dem man ein vielleicht noch erfolgreicheres Projekt hätte starten können – aber offenbar haben Sie sich dagegen entschieden, denn es blieb ja bei den drei Büchern, richtig?«

»Richtig«, kommentierte Morton. »In den ersten beiden Kapiteln hatte ich schon drei potenzielle Kläger ausgemacht. Vanenberg hat offenbar sehr detailliertes Insider-Wissen über eine kriminelle Organisation. Er ist gut vernetzt und er muss mit jemanden in Kontakt stehen, der in der Hierarchie dieser Organisation nicht eben zum Fußvolk zählt. Dennoch hatte er nur wenige Beweise, die wir in einem möglichen Prozess hätten verwenden können.«

»Obwohl er für seine akribischen Recherchen so bekannt ist?« Ich versuchte, den spöttischen Unterton nur anzudeuten. Mortons Blick verriet mir, dass mir das nicht wirklich gelungen war.

»Wir reden hier nicht über Autodiebstahl oder Einbrüche – wir reden hier über Handel mit gestreckten und dadurch teilweise unwirksamen Medikamenten, über Doping, über …« – Morton stockte – »ich komme ins Plaudern.«

»Also geht es um Leute, an die man nur schwer rankommt.«

Morton schüttelte den Kopf. »Es geht um Leute, an die man normalerweise überhaupt nicht rankommt.«

»Demzufolge haben Sie sein Manuskript abgelehnt.«

»Und ihm unmissverständlich klargemacht, dass jeder andere Verlag dasselbe Problem hätte. Und selbst, wenn er einen fände, müssten wir uns gegebenenfalls Gedanken machen, seine anderen Bücher aus dem Programm zu entfernen.«

Das kannte ich zu Genüge. Wie oft hatte ich im Büro von Ernest Vallone, seinerzeit Chefredakteur des Buffalo Star, gestanden und hatte mir anhören müssen, warum mein Artikel nicht gedruckt werden konnte. Zum Beispiel, wenn bestimmte Wahrheiten nicht die politische Richtung der Zeitung widerspiegelten oder weil er Firmen an den Kopf stoßen könnte, die mit ihren Anzeigen die Zeitung mitfinanzierten. Moderne Zensur nannte ich das.

»Schauen Sie ruhig skeptisch, ist ihr gutes Recht. Aber ich muss an die Existenz unseres Verlages und seiner Mitarbeiter denken«, verteidigte Morton sich. »Dann kam er auf den Gedanken, den Stoff stattdessen in einem Krimi zu verarbeiten. Es war grauenvoll!« Morton lachte.

»Er hat den Krimi demnach selbst herausgebracht?«

Morton sah mich irritiert an.

»Zwei Krimis hat er doch bislang veröffentlicht.«

»Nein, die haben damit nichts zu tun«, kommentierte Morton mit einer abfälligen Handbewegung. »Die hat er in Eigenregie herausgebracht. Er hat überhaupt kein Talent zur Belletristik. Ich habe ihm stattdessen ein Gegenangebot gemacht. Wir verzichten auf den Hinweis auf eine Organisation, die, wenn seine Beschreibung auch nur im Ansatz stimmt, über eine Macht verfügt, die offenbar selbst die der Mafia zu ihrer besten Zeit in den Schatten stellt, und konzentrieren uns auf den Medikamentenhandel. Den wir zudem mehr allgemein behandeln wollten.«

»Also eine abgespeckte Light-Version.« Dieses Mal ließ ich den Spott ungefiltert raus.

»Sie sind Journalist, also quasi auch Autor. Sie müssen so denken, aber ich habe eine andere Verantwortung. Eine Verantwortung unseren Eigentümern gegenüber, unserer Geschäftspartner gegenüber und vor allem unseren Mitarbeitern gegenüber. Und daher wird bei uns nichts gedruckt, was einer rechtlichen Auseinandersetzung nicht standhalten würde. Und dabei lehnen wir uns schon weit aus dem Fenster für unsere Autoren, das können Sie mir glauben.«

»Verstehe«, antwortete ich leicht resigniert. »Was ist mit Vanenberg? Er war sicher begeistert?«

Morton schluckte. »Ja. Und wieder nein – ich weiß es nicht. Er hat das Manuskript seiner Enthüllungsdokumentation entsprechend bearbeitet, es neu eingereicht und einen Vertrag unterschrieben.«

Ich stöhnte. »Ich verstehe nicht, was Sie von mir wollen.«

»Gut. Ich komme zum Punkt. Vanenberg hat das Manuskript eingereicht, wir haben es dem Lektorat übergeben und ein Team von fünf Mitarbeitern mit der Recherche beauftragt. Dazu war ein Teil unserer Rechtsabteilung damit beschäftigt, Vorwurf für Vorwurf daraufhin zu überprüfen, wer sich wiedererkennen könnte, ob derjenige klagen würde und welche Aussichten eine Klage hätte. Kurzum: Wir haben Unmengen an Ressourcen in dieses Manuskript gesteckt. Nun war es an dem Autor, seinen Teil des Lektorates zu liefern.«

»Aber Vanenberg lieferte nicht.« Das lag nun auf der Hand.

»Nein, das tat er nicht. Erst reagierte er nicht und dann besaß er die Frechheit, mich anzurufen, um mich um die Auflösung des Vertrages zu bitten. Ich war sprachlos. Das ist selten, aber ich war sprachlos.«

»Hatte er das begründet?«

»Ja. Und jetzt kommt der Hammer. Wie nannten Sie eben unser Angebot so schön spöttisch? Eine abgespeckte Light-Version. Und jetzt kommt’s – diese abgespeckte Light-Version war ihm plötzlich zu heiß geworden. Er hätte Schiss. Ich dachte ernsthaft, der Typ will mich verarschen. Aber er blieb dabei. Er sagte allen Ernstes, wir könnten ihn gerne verklagen. Er ginge lieber ins Gefängnis, als so ein Risiko einzugehen.«

»Da hat er ja nun bekommen, was er wollte.«

Ich nahm an, Morton wusste, dass Vanenberg im »Buffalo Correction Center« saß.

»Damit haben wir aber nichts zu tun. Das hat er sich selbst eingebrockt oder irgendjemand anders, ich weiß das nicht. Ich weiß nur, ich habe einen Vertrag, wir sind in erheblichem Maße in Vorleistung getreten. Den Vorschuss wird er zurückzahlen müssen, da wird er nicht drum herumkommen. Das wird er auch machen, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass er sein eigenes Ding an uns vorbei macht. Kennen Sie das Buch ›Blutspur der Wölfe‹?«

»Leena Lyberg, natürlich.« Mein Interesse war auf einmal exorbitant gestiegen. »Also, die Übersetzung ist ja gerade erst in die Buchläden gekommen. Es ist bestellt, aber ich muss zugegen, gelesen habe es noch nicht. Aber ich kenne den ersten Band.«

»Aber Sie wissen, wer Leena Lyberg ist. In Schweden zurzeit die Nummer eins und ihre Bücher sind seit zwei Jahren auch hier in den Staaten im Kommen. Aber dieses Buch … Ich weiß nicht, was den Verlag geritten hat. Vielleicht haben sie gedacht, es sei verfremdet genug. Vielleicht halten sie die Geschichte auch für frei erfunden, aber Zufall kann das nicht sein, dass es so viel Parallelen zu Vanenbergs Manuskript gibt. Möglicherweise erhält er eine ordentliche Beteiligung, kann sich im Hintergrund halten und löst den Vertrag mit uns.«

»Na ja, Journalisten, und nichts anderes ist Vanenberg doch auch, treten permanent in Wespennester. Das muss er gewohnt sein. Es sei denn, er ist nicht so abgebrüht, wie Sie ihm das unterstellen.«

»Ich unterstelle ihm gar nichts«, erwiderte Morton unwirsch. »Ich weiß nur: Ich habe einen gültigen Vertrag und wir haben bereits eine Menge in dieses Projekt investiert. Aber wir sind auch keine Unmenschen. Wenn ihm der Boden unter den Füßen zu heiß geworden ist, er vielleicht tatsächlich bedroht wird, dann müssen wir auch umdenken. Natürlich auch im Interesse des Verlages! Geht es aber um das Geschäft, lassen wir uns nicht ausbooten. Wir suchen nun jemanden, der herausfinden kann, ob hinter der angeblichen Bedrohung eine real existierende steckt. Interesse?«

Mein Interesse hielt sich in Grenzen. Einerseits. Andererseits klang es nach einem gemütlichen Fall. Ich hatte ohnehin einen Termin mit Vanenberg, würde also eh nach Buffalo fahren. Warum nicht en passant herausfinden, was wirklich hinter Vanenbergs Rückzieher steckte? Ich nickte, nannte Morton meinen Preis, er schluckte und als er gegangen war, hatte ich wieder einen Auftrag als Privatdetektiv. Das fühlte sich gut an! Unaufgeregt trank ich meinen Latte Macchiato aus und machte mich auf den Heimweg nach Rye.

+++ +++ +++

Textprobe: Neal Skye

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